In den Jahren 2013 und 2014 erschienen zwei Bände der Yuri-Manga-Reihe Fragtime in Japan. Hierzulande veröffentlichte das Werk Tokyopop im Jahr 2020. Dank Kazé Anime mussten Fans auf die Original Video Animation von 2019 hierzulande aber nicht lange warten.
Einleitend beginnt der Anime-Film Fragtime aus dem Jahr 2019 das gerade einmal einstündige Erlebnis mit der hypothetischen Frage, was der Zuschauer machen würde, wenn er für drei Minuten die Zeit anhalten könnte. Sofort schweifen die Gedanken des Zuschauers in die eine oder in die andere Richtung. Vielleicht wird sogar die Fantasie in vielfältiger Weise angeregt. Ein interaktives Werk ist Fragtime allerdings nicht, weshalb vom Zuschauer keine eindeutige Antwort auf diese Frage gegeben werden muss. Was für ein Glück! Immerhin nutzt Fragtime diese Frage für die grundlegende Ausgangslage der Erzählung. Bereits die erste Szene zeigt die besondere Fähigkeit der Hauptfigur Moritani Misuzu, eine Oberschülerin. Per Gedankenkraft ist es ihr möglich, die Zeit für ungefähr drei Minuten einzufrieren. Häufig greift sie aus Schüchternheit auf diese Kraft zurück, um womöglich unangenehmen Gesprächen mit Mitschülern aus dem Weg zu gehen. Eines Tages flieht sie aus einer Situation mit einer Mitschülerin und entdeckt vor dem Schulgebäude ihren großen Schwarm Murakami Haruka, in die sie schon seit längerer Zeit verliebt ist. Sie wirft einen flüchtigen Blick unter ihren Rock, schließlich würde Haruka nie etwas davon erfahren. Misuzu ist sichtlich überrascht, als sich Haruka plötzlich regt, obwohl die Zeit stillsteht und dies eigentlich gar nicht möglich sein sollte.
Drei-Minuten-Flirts
Zwischen Misuzu und Haruka entsteht ein besonderes Band. Miteinander verbringen sie viel Zeit und haben sogar ein Date zusammen. Daraufhin verliert Misuzu die Kontrolle über ihre Fähigkeit. Aus den einfachsten Gründen hält sie die Zeit für sich und Haruka immer wieder an. Mehrfach wird sie von ihrer großen Liebe darauf angesprochen, ob sie dies aus besonderen Gründen tut. Sie fühlt sich womöglich sogar etwas genervt davon. Klare Aussagen trifft Fragtime im Rahmen der Story selten. Deutlich häufiger lässt der Anime-Film den Zuschauer das Bild und die Gedanken der beiden Figuren selbst interpretieren. Gelegentlich erreicht die zuckersüße Geschichte auch eine philosophische Ebene. Vom Aufbau her fühlt sich der Film wie ein Drama an, denn die Katastrophe ist vorprogrammiert. Misuzus Kräfte schwinden mit der Zeit und ihre Mitschüler bekommen mit, was ungefähr in den drei Minuten passiert. Unter anderem sehen sie, wie Haruka auf dem Flur der Schule Misuzu ihre Unterwäsche zeigt. Auch wenn der Fokus der Erzählung auf der Beziehung von Haruka und Misuzu liegt, behandelt der Film im Vorbeigehen auch die persönlichen Entwicklungen beider Mädchen. Misuzu muss lernen, ihre Gefühle auszudrücken und ihre Schüchternheit zu überwinden. Haruka will hingegen von allen geliebt werden und schießt dabei oft genug über dass sehr hohe Ziel hinaus.
Ruhiges, aber tiefgründiges Filmerlebnis
Visuell setzt Fragtime auf einen sehr seichten Zeichenstil. Konturen sind selten hart und verschwimmen fast schon mit den Hintergründen. Zwischen den Figuren und dem Rest des Bildes entwickelt sich regelrecht eine Symbiose. Grenzen sind kaum auszumachen. So gibt es eine Szene, in der Misuzu die Zeit anhält und Haruka sich daraufhin im Klassenraum teilweise entblößt und die Nähe zu Misuzu sucht. Auch dass oft ein rosaroter Farbfilter über solche Szenen gelegt wird, unterlegt das Geschehen mit einer warmen und teilweise sogar romantischen bis leicht erotischen Atmosphäre. Beim Ton setzt der Film auf das Format DTS-HD Master Audio 5.1, was grundsätzlich gut klingt. Allerdings spielt die Musik von Fragtime nur eine untergeordnete Rolle. Melodien erklingen nur in sehr seltenen Fällen. Umgebungsgeräusche dominieren die Szenen. Hauptaugenmerk sind die Dialoge, die bedacht geschrieben sind. Sowohl die deutschen als auch die japanischen Synchronsprecher sind gut gewählt und verleihen Misuzu und Haruka auf eine ruhige Art Leben. Entsprechend handelt es sich bei Fragtime um einen eher leisen Film, der sich aber besonders mit seinen Figuren auseinandersetzt. Wer das mag, wird mit Fragtime auf eine leicht sinnliche wie stark tiefgründige Reise gehen. Schade ist nur, dass die Publikation ohne digitales und physisches Bonusmaterial auskommt.
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit (basierend auf der Blu-ray-Fassung): Fragtime ist ein sehr ruhiger und teilweise auch sehr sinnlicher Film. Er spielt mit romantischen und erotischen Vorstellungen, doch liegt das Hauptaugenmerk der Erzählung auf der Selbstfindung der beiden Hauptfiguren. Ihre Beziehung kommt zwar häufig ins Taumeln, doch ist das Verfolgen der Story spannend. Hinzu kommt ein regelrecht intelligentes Zusammenspiel mit den Umgebungen und Hintergrundgrafiken, die darüber hinaus mit einem passenden Farbfilter überzogen werden. Der Zuschauer verliert sich zusammen mit den beiden Charakteren in einer Traumwelt, aus der es für ein paar Minuten kein Erwachen gibt. Fragtime ist für Fans des Yuri-Genres eine gute Gelegenheit, sich tiefgründiger mit Figuren auseinanderzusetzen. Die Suche nach der eigenen Identität und der Liebe ist gut geschildert. Auch das Ende, das die klare Botschaft der klaren und ehrlichen Gefühle trägt, weiß zu überzeugen. Wer aber ein großes Drama erwartet, sollte lieber zu anderen und ausgiebiger erzählten Anime wie Kimi ga Nozomu Eien greifen!
Vielen Dank an Kazé Anime für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Fragtime!