Review: Der kühne Knappe

Es kommt selten vor, dass das Erstlingswerk eines Entwicklerstudios voller kreativer Ideen aufwarten kann, die zudem noch unverbraucht sind. Der kühne Knappe nimmt uns mit auf ein Abenteuer, das uns bei einer Spielzeit von acht Stunden immer wieder positiv überrascht.

Kreativität ist fast immer ein guter Punkt, um Spiele von der Masse abzuheben. Beim Action-Adventure Der kühne Knappe beziehungsweise The Plucky Squire, wie das Spiel international und auch auf der Verpackung der physischen Versionen im deutschsprachigen Raum heißt, ist ein Erguss zahlreicher kreativer Ideen. Entwicklerstudio All Possible Futures hat mit seinem Erstlingswerk ein Spiel geschaffen, an das wir in Zukunft oft zurückdenken werden. Berechtigt fragt ihr euch, woran dieser Umstand liegen könnte. Die Antwort ist ziemlich simpel: Das Action-Adventure nimmt sich große Vorbilder wie The Legend of Zelda und verbindet dies mit einem besonderen Charme – oder besser gesagt unverbrauchten Gameplay-Ideen. Davon ist anfänglich noch kaum etwas zu merken – höchstens der verspielte Bilderbuchstil fällt sofort ins Auge. Wir schlüpfen in die Rolle von Jot, dem titelgebenden kühnen Knappen. Dieser ist eng mit dem Zauberer Mondbart befreundet. Zu Beginn erwartet er von uns einen einfachen Freundschaftsdienst: Schnell auf einen Berg klettern und eine Portion Wachs abholen. Unterwegs erleiden wir jedoch fast den vorzeitigen Heldentod durch einen Erdrutsch, an dem Bösewicht Grummweil schuld ist. Entsprechend wechselt das primäre Ziel, in bester Abenteuermanier dem durchtriebenen Antagonisten ein für alle Mal das Handwerk zu legen.

Zwei verschiedene Welten

Jetzt stellt sich euch die nächste Frage, warum wir Grummweil denn abermals konfrontieren müssen. Tja, genauso wie der Protagonist sind auch wir in jenem Moment überraschend, in dem der hinterhältige Grummweil seinen Plan offenbart. Falls ihr überhaupt nicht gespoilert werden möchtet und den Twist des Spiels lieber selbst erleben wollt, solltet ihr ab dem übernächsten Satz besser nicht weiterlesen. Dann würdet ihr aber wohl weniger verstehen, warum das Spiel eigentlich so faszinierend ist. Grummweil hat herausgefunden, dass sowohl Jot als auch seine Wenigkeit wiederkehrende Charaktere einer ganzen Bilderbuchreihe sind. Er weiß auch, dass Jot immer über ihn triumphieren wird. Entsprechend schreibt er die Geschichte um und haut den kühnen Knappen kurzerhand aus dem Buch mit seinem zweidimensionalen Grafikstil heraus und schließt es. Außerhalb des Buches ist die Welt dreidimensional, aber auch ziemlich groß. Vom auf einem Klebezettel auftauchenden Bücherwurm Liesbet erfahren wir, dass das Kind Sam ein großer Fan des kühnen Knappen ist. Damit Sam irgendwann zu einem wunderbaren Kinderbuchautor heranreifen kann, müssen wir Jot ins Buch zurückbringen und Grummweil besiegen, der inzwischen dabei ist, die Handlung zu manipulieren. Um Grummweil zu stoppen, wechseln wir stets zwischen der 2D-Bilderbuchwelt und der 3D-Außenwelt.

Rudimentärer Spieleinstieg

Spieltechnisch verlässt sich Der kühne Knappe anfänglich auf rudimentäre Möglichkeiten. So schwingen wir ab der ersten Minute ein Schwert, mit dem wir Büsche mähen und angriffslustige Gegner abwehren können. Beide Taten belohnen uns mit Glühbirnen, die als Währung im Spiel herhalten. Bei einer Händlerin können wir diese gegen neue Angriffstechniken, deren Verbesserungen oder Bildrollen einwechseln. Während wir mit den neuen Manövern in den Kämpfen glänzen, dienen Bildrollen genauso wie die gut versteckten Upsvögel als Collectibles. Im Gegensatz zu den Vögelchen bringen die Bildrollen einen kurativen Mehrwert. In einem extra dafür vorgesehenen Menü erfahren wir Hintergründe über die visuelle Gestaltung des Spiels. Wer wissen will, was es mit den Upsvögeln auf sich hat oder woher diese ihren Namen haben, sollte die Augen nach den Bildrollen aufhalten. Um in Der kühne Knappe von einem Areal ins nächste zu wechseln, müssen wir – da wir uns ja in einem Bilderbuch befinden – die Seite wechseln. Also folgen wir der Story oder erreichen den Rand einer Seite, sodass wir im nächsten Gebiet landen. Manchmal befinden sich animierte Seiten dazwischen, in denen zunächst einmal nur die Handlung über kurze wie knappe Texte vorangetrieben wird. Vorgelesen von einem tollen deutschen Erzähler kommt hier richtige Märchenstimmung auf!

Ansteigende Optionsvielfalt

Mit der Zeit wachsen jedoch unsere Möglichkeiten, wie wir mit dem Bilderbuch agieren. So können wir mittels magischer Wirbel das Buch verlassen und auf dem Tisch in Sams Zimmer herumlaufen. Als dreidimensionale Figur können wir auch quer über das Buch flitzen – und ab einem bestimmten Zeitpunkt sogar die Seiten umdrehen. Dann können wir auf einer anderen Seite, sofern sich dort ein magischer Wirbel befindet, wieder ins Geschehen einsteigen. Das machen wir, um beispielsweise eine Bombe aus dem Haus des Zauberers zum künftigen Explosionsort zu bringen. Manchmal können wir zudem die kleineren Texte auf den Bilderbuchseiten bruchstückhaft durcheinander bringen. So hauen wir ein bestimmtes Wort heraus und können es durch ein anderes ersetzen, welches wir vielleicht auf ein paar Seiten zuvor gesehen haben. Können wir unter Umständen die Brücke über einen See nicht überqueren, sehen daneben jedoch den Text, dass ein winziges Seerosenblätter auf der Wasseroberfläche schwimmt, könnten wir stattdessen nach einem Wort suchen, um aus dem winzigen ein riesiges Blatt zu machen. Außerdem müssen wir in Der kühne Knappe kompakte Gegenstände von der einen in die andere Welt bringen oder sie zumindest temporär durch diese transportieren. Es macht Spaß, zu experimentieren, da das Spiel auch ein wenig Raum für Unsinn lässt.

Ideenfeuerwerk für alle Altersgruppen

Klar, den Wechsel zwischen zwei- und dreidimensionalen Räumen haben wir bereits in Spielen wie Super Mario Odyssey oder The Legend of Zelda: A Link between Worlds gesehen. Der kühne Knappe nutzt dieses Feature aber derart inflationär und reichert es mit noch mehr Ideen an, dass das Spielkonzept dennoch frisch wirkt. Hinzu kommen Anspielungen an Nintendo-Entertainment-System-Klassiker wie Punch-out!! oder Sammelkartenspiele wie Magic: The Gathering. Auch eine kurze Shoot-’em-up-Sequenz gilt es zu erleben. Ständig passiert etwas Neues, weshalb es in Der kühne Knappe nie langweilig wird. Das ganze Spektakel spielt sich zudem ziemlich gut. So ist der Schwierigkeitsgrad eher gering, kann in seltenen Momenten aber auch mal fordern, wenn drei oder vier Gegner im Fernkampf auf uns losgehen. Lediglich die Momente, in denen das Gameplay in andere Genres springt, fühlen sich manchmal etwas hakelig an. Gerade das unausgereifte Zielen mit dem Bogen auf Mücken ohne Ausweichmöglichkeit wäre mit mehr Feingefühl vermeidbar gewesen. Auf unserem Testrechner (Intel i5 13600K, GeForce RTX 4070, 32 GB DDR5 RAM) läuft das Spiel mit maximalen Grafikeinstellungen in den 2D-Abschnitten super. Nur bei den 3D-Arealen stellen wir klitzekleine Verzögerungen fest, welche die Spielbarkeit aber nicht stark beeinträchtigen. Wer Lust auf ein kleines Ideenfeuerwerk hat, kommt um Der kühne Knappe nicht herum.

Geschrieben von Eric Ebelt

Erics Fazit (basierend auf der PC-Fassung): Manchmal tauchen Spiele am Horizont auf, die zunächst unscheinbar wirken, aber bei genauerer Betrachtung vom Hocker hauen. Der kühne Knappe respektive The Plucky Squire von Entwicklerstudio All Possible Futures ist solch ein Titel. In diesem kleinen Feuerwerk wird eine Ideenrakete nach der anderen gezündet. Ständig muss ich mich auf neue Situationen einlassen, die ich mit einer ansteigenden Anzahl an Möglichkeiten lösen darf. Wirkliche Kopfnüsse oder zu heftige Kämpfe sind zwar nicht dabei, doch muss es das auch nicht – auf diese Art und Weise lässt sich das Action-Adventure flüssig und ohne großen Unterbrechungen spielen. Es ist mit circa acht Spielstunden auch nicht zu lang und ermüdet deshalb auch nicht, zumal die Story Märchencharakter hat und Platz für ein bisschen Humor lässt. Zudem weiß das Spiel grafisch zu gefallen. Der Bilderbuchstil ist zuckersüß und auch die Außenwelt macht einiges her. Hinzu kommen zahlreiche Anspielungen an Videospiele wie Punch-out!!, Pikmin oder Fantasy Zone, die mir ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Für mich ist Der kühne Knappe definitiv eine Überraschung des Jahres 2024, das rudimentär beginnt, aber mit ansteigender Spielzeit immer besser wird!

Vielen Dank an Devolver Digital für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Der kühne Knappe!

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