Review: Clair Obscur: Expedition 33

Während der Covid-19-Pandemie entwickelte der ehemalige Ubisoft-Mitarbeiter Guillaume Broche, der kreative Kopf hinter Clair Obscur: Expedition 33, die Idee zu seinem Spiel, das erst niemand haben wollte, aber dann glücklicherweise doch noch umgesetzt werden konnte.

In einer zerbrochenen und von der französischen Belle Époque inspirierten Welt, bestimmt die ominöse Malerin Jahr für Jahr über den Tod zahlreicher Menschen. Um die Geheimnisse zu lüften und das als Gommage bezeichnete Ereignis zu beenden, bricht im vom französischen Entwicklerstudio Sandfall Interactive entworfenen Rollenspiel Clair Obscur: Expedition 33 eine Expedition zu eben dieser Malerin auf. Schon in ersten Trailern hat Clair Obscur: Expedition 33 mit einer faszinierenden Welt, die vom Frankreich um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert inspiriert ist, und einem stark an japanische Rollenspiele angelehnten Spielprinzip Interesse geweckt. Mit einem überschaubaren Team von weniger als vierzig Personen, hat Sandfall Interactive das Rollenspiel umgesetzt. Das Team beweist eindrucksvoll, dass sich dieser Genrevertreter nicht vor großen Produktionen zu verstecken braucht. Eine mitreißende wie abwechslungsreiche Geschichte mit großartig geschriebenen Charakteren, einer melancholischer Atmosphäre und vielen ernsten wie philosophischen Ansätzen wissen für weit mehr als dreißig Stunden zu fesseln. Die surreale Welt und das taktische sowie individuelle Kampfsystem sorgen darüber hinaus dafür, dass die Story von Clair Obscur: Expedition 33 bis zum Ende immer wieder aufs Neue motiviert und regelrecht fasziniert.

Zerbrochene Welt

Angesiedelt ist Clair Obscur: Expedition 33 in einer Welt, die nach dem sogenannten Bruch auseinander fiel. Schwebende Inseln und Felsen sowie unnatürlich wirkende Landschaften unterstreichen den bereits erwähnten surrealen Eindruck. Die überlebenden Menschen haben sich in den Ruinen der Stadt Lumière niedergelassen und sind einer als Malerin bekannten Gottheit nahezu schutzlos ausgeliefert. Diese ist bei einem riesigen Monolithen am Horizont zu sehen – nahezu unerreichbar. Einmal im Jahr erwacht die Malerin und ändert die auf dem Monolithen von Weitem zu sehende Zahl. Diese bedeutet, dass sich alle Menschen, die das genannte Alter überschritten haben, auflösen. Clair Obscur: Expedition 33 beginnt an diesem Tag, der den Bürgern von Lumière als Gommage bekannt ist. Dadurch werden wir Zeuge, wie die Menschen in Lumière mit dem Ereignis umgehen, wie die Malerin die Zahl um den Wert Eins senkt und schließlich alle Personen, die älter als dreiunddreißig Jahre sind, auflösen. Darunter auch Sophie, die Freundin von Gustave, einem der Protagonisten des Rollenspiels. Gustave selbst gehört zur titelgebenden Expedition 33, die am nächsten Tag zum Kontinent aufbricht, um die Mysterien der geheimnisvollen Malerin aufzuklären und der Gommage ein Ende zu bereiten. Damit geht auch unser Abenteuer an Gustaves Seite erst so richtig los.

Melancholische Stimmung, vielschichtige Charaktere

Erzählt wird die Geschichte in eindrucksvollen und aufwendigen Zwischensequenzen, denen nicht anzumerken ist, dass das Rollenspiel lediglich von einem kleinen Team entwickelt wurde. Genauso begeistern die Inszenierung und die Erzählweise. Clair Obscur: Expedition 33 erzählt in drei Akten eine gefühlvolle und philosophische Geschichte, die zwar eine klassische Abenteuerreise umfasst, aber auch ernste Themen wie Tod, Trauer oder Suizid anspricht. Hier zeigt sich die Schwermütigkeit und Melancholie der zerbrochenen Welt sehr gut. Dennoch ist dank des gut genutzten Humors auch ersichtlich, wie fröhlich und leichtgängig das Leben der Menschen manchmal trotzdem sein kann. Zu verdanken ist das den sehr gut geschriebenen Charakteren, die alle ihre Eigenheiten und persönlichen Hintergrundgeschichten verpasst bekommen haben. Mit letzterer weiß das Rollenspiel teilweise zusätzlich aufzuwühlen und zu begeistern. Die hochwertigen Synchronisationen auf Französisch und Englisch sorgen zudem dafür, dass den Charakteren zusätzliches Leben eingehaucht wird. Zumindest die englischsprachige Fassung ist mit Sprechern wie Daredevil-Darsteller Charlie Thomas Cox als Gustave, der aus Baldur’s Gate 3 bekannten Jennifer English als dessen siebzehnjährige Ziehtochter Maelle sowie Gollum-Schauspieler Andrew Clement „Andy“ Serkis prominent besetzt.

Surreale Landschaften

Aufgebaut ist die Spielwelt in lineare Bereiche, die wir aus der Third-Person-Perspektive erkunden sowie einer aus der isometrischen Perspektive dargestellten Oberwelt. Gerade letzteres erinnert an klassische japanische Rollenspiele. Sowohl in den Gebieten als auch auf der Oberwelt warten die als Nevrons bezeichneten Monster auf uns und verwickeln uns in Kämpfe. Außerdem lassen sich Geheimnisse wie versteckte Items oder Nebenquests finden. Letztere sind oft simpel gehalten und erfordern lediglich das Aufspüren bestimmter Gegenstände oder Besiegen von Gegnern, bringen aber trotzdem etwas Abwechslung. Ein Quest-Tagebuch fehlt jedoch, weshalb wir uns merken müssen, was wir zu erledigen haben. Für die Erkundung der Oberwelt schalten wir im Spielverlauf neue Möglichkeiten frei. Dadurch können wir zuvor unzugängliche Orte erreichen, was wiederum den Zugang zu neuen Gebieten der Welt ermöglicht. Dabei fasziniert Clair Obscur: Expedition 33 durchgehend mit der surrealen Welt, die auf interessante Landschaften setzt. So erkunden wir ein Unterwassergebiet ohne Atemprobleme zu Fuß und erreichen einen blutroten Wald oder Höhlen voller schwebender Objekte. Zudem lassen sich überall Spuren vorheriger Expeditionen entdecken. Wirklich viel Freiheit gibt es zwar nicht, manche Abzweigung gewährt aber kleine Geheimnisse und optionale Sammelobjekte wie Outfits für die Charaktere.

Klassische Runden

Weitaus präsenter als die Erkundung ist in Clair Obscur: Expedition 33 das Kämpfen. Genau betrachtet nehmen die Auseinandersetzungen mit den Nevrons den Großteil unserer Aktivitäten ein. Lediglich die erwähnten Nebenquests und ein paar eher belanglose Minispiele bringen Abwechslung. Gegner sind in den Arealen und der Oberwelt immer zu sehen; auf Zufallskämpfe haben die Entwickler verzichtet. Dadurch ist es uns möglich, mit einer gut platzierten Attacke einen Vorteil zu Beginn des Kampfes zu erringen. Das ist sogar relativ einfach zu schaffen und kann in mancher Auseinandersetzung einen großen Vorteil bedeuten. Die Kämpfe sind rundenbasiert und werden mit einer dreiköpfigen Gruppe, die wir frei aus den insgesamt sechs spielbaren Figuren zusammenstellen, bestritten. Sind wir anfangs noch mit Gustave alleine unterwegs, wächst die Gruppe mit der Zeit immer weiter an. Das bringt neue Möglichkeiten im Kampf, da sich jeder Charakter ein wenig anders spielt. Grundlegend können alle Recken, wenn sie am Zug sind, mit ihrer Waffe angreifen, limitierte Aktionspunkte verwenden, um Fähigkeiten einzusetzen oder Gegenstände verwenden. Zusätzlich kann eine Fernkampfwaffe gezückt und auf gegnerische Schwachpunkte gezielt werden. Das verbraucht ebenfalls Aktionspunkte, kostet aber nicht die Runde und bringt wichtige Vorteile mit sich.

Aktive Verteidigung

Entscheiden wir uns im Kampf für eine Fähigkeit, erwartet uns ein Quick-Time-Event. Es gilt also im richtigen Moment einen Button zu drücken, damit der Angriff im besten Fall noch stärker wird. Misslingt uns das, kann die Attacke im schlimmsten Fall misslingen. Gerade bei Bosskämpfen oder in kritischen Situationen ist dies nicht nur ärgerlich, sondern mitunter kampfentscheidend. Noch wichtiger sind die Echtzeitelemente der Kämpfe. Greifen die Gegner an, können wir auf Knopfdruck ausweichen oder parieren. Das ist essentiell, um Schaden zu vermeiden, zumal es keine Möglichkeit zum Blocken gibt. Allerdings handelt es sich bei Ausweichen und Parieren nicht um Quick-Time-Events. Stattdessen müssen wir die Angriffe der Gegner genau beobachten und im richtigen Moment reagieren, um einem Treffer zu entgehen oder diesen zurückzuschlagen. Gelingt uns das, nehmen wir nicht nur keinen Schaden, sondern können auch noch mächtige Konter auslösen. Andererseits stecken wir bereits auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad hohen Schaden ein, wenn wir getroffen werden. Diese aktive Komponente der Kämpfe sorgt für zusätzliche Motivation, verlangt uns genaues Beobachten ab und sorgt dafür, dass sich die Auseinandersetzungen bis zum Ende nicht abnutzen. Zusätzliche Abwechslung garantieren die surreal gestalteten Gegner, die jeweils eigene Angriffe und Anfälligkeiten haben. Gerade gegen feindliche Gruppen ist taktisches Vorgehen wichtig.

Kämpferische Eigenheiten

Wie bereits erwähnt, verfügt jeder Charakter über eine Besonderheit, die für unterschiedliche Spielgefühle sorgen. So laden Angriffe von Gustave seine Armprothese auf. Die Aufladungen können schließlich mit einer Fähigkeit in eine mächtige Attacke umgewandelt werden. Magierin Lune hingegen sammelt je nach Fähigkeit unterschiedliche Elementarpigmente. Diese wiederum verstärken andere Fertigkeiten und sorgen bei überlegter Nutzung für spürbare Vorteile im Kampf. Ähnliches gilt für Maelles Haltungen. Je nach eingesetzter Fähigkeit wechselt die Siebzehnjährige in eine andere Kampfhaltung, die unterschiedliche Effekte hat. So erleidet sie in der Verteidigungshaltung weniger Schaden und erhält für Parieren und Ausweichen einen Aktionspunkt. In der Angriffshaltung wiederum verursacht sie mehr Schaden, muss aber auch mehr einstecken. Zudem haben die Haltungen Auswirkungen auf Fähigkeiten und können diese zusätzlich erhöhen. Taktische Überlegungen können hier zu mächtigen Combos über mehrere Runden führen. Besonders, wenn es uns gelingt, Gegner zu brechen, die so kurzzeitig handlungsunfähig sind, können die Besonderheiten der Figuren teils große Wirkung zeigen. In jedem Fall sind sie entscheidend für so manche Auseinandersetzung mit Bossgegnern. Später werden außerdem noch individuelle Spezialattacken der Charaktere freigeschaltet. Diese können zwar nur selten eingesetzt werden, sind dafür aber umso mächtiger.

Gesammelte Erfahrung

Bei der Charakterentwicklung setzt Clair Obscur: Expedition 33 auf klassische Erfahrungspunkte und Stufenaufstiege. Diese gewähren stets drei Attributspunkte, die frei in fünf Charakterwerte investiert werden dürfen. Dabei sollte die Wechselwirkung mit der aktuell ausgerüsteten Waffe zumindest teilweise berücksichtigt werden. Zudem erhalten die Charaktere Fähigkeitspunkte, die in den individuellen Fähigkeitsbäumen in neue Techniken investiert werden können. Hier bleibt das Rollenspiel genretypisch, bietet aber zahlreiche Möglichkeiten, zumal jeder Charakter nur sechs Fertigkeiten ausrüsten kann. Es ist also gut zu überlegen, was wir benötigen und die Fertigkeiten an die Gegner des aktuellen Gebiets anpassen. Noch wichtiger sind die Pictos. Dabei handelt es sich um die einzigen weiteren Ausrüstungsgegenstände neben den Waffen. Jeweils drei Pictos kann ein Charakter tragen und erhält dadurch passive Effekte. Nach vier mit einem Pictos absolvierten Kämpfen werden die Effekte freigeschaltet und können unabhängig ausgerüstet werden. Allerdings kosten sie sogenannte Lumina-Punkte. Diese steigen mit der Zeit und können mit bestimmten Materialien zusätzlich erhöht werden. Trotzdem ist eine gute Planung und Anpassung an den jeweiligen Charakter sinnvoll. Zusätzlich können wir die Waffen der Charaktere aufleveln und passive Effekte freischalten. Nutzen wir alle Möglichkeiten, ist es je nach Schwierigkeitsgrad allerdings durchaus möglich, dass unsere Charaktere sehr mächtig werden, was die Herausforderung beeinflusst.

Faszinierende Präsentation

Audiovisuell begeistert Clair Obscur: Expedition 33 fast vollständig. Die surreale Welt ist eindrucksvoll gestaltet und oft wirkt das Rollenspiel wie eine riesige Produktion. Dadurch ist es noch beeindruckender, dass ein kleines Team wie Sandfall Interactive bereits bei ihrem Debüt so eine optische Opulenz bietet. Dennoch zeigen sich kleinere Schwächen. Manchen Gebieten fehlt es an Abwechslung, was die Übersicht erschwert und auch die Einzigartigkeit der Welt nutzt sich im späteren Spielverlauf ab. Zudem fallen manchmal etwas gröbere Grafiken und eher zweckmäßige Animationen auf – zumindest bei der Erkundung. Die Kämpfe sind durchweg atemberaubend und effektreich gestaltet. Ähnliches gilt für die sehr individuellen Charaktere und Gegner. Neben der hochwertigen Vertonung begeistert das Rollenspiel mit einem stimmungsvollen Soundtrack, der viel Abwechslung bietet und mit instrumentalen Stücken sowie Gesang die Atmosphäre super unterstreicht. Ein Manko ist hingegen die manchmal zu ungenaue Steuerung außerhalb der Kämpfe. Gerade Sprungabschnitte spielen sich einfach nicht gut. Am beeindruckenden Gesamteindruck und der hohen Qualität von Clair Obscur: Expedition 33 und schon gar nicht am Spielspaß kann das etwas ändern. Das Rollenspiel fesselt und auch die End-Game-Inhalte und Nebenbeschäftigungen, durch welche die Spielzeit auf rund sechzig Stunden ansteigt, wissen zu motivieren. Anschließend können wir mit New Game Plus erneut starten und exklusive Gegenstände erhalten.

Geschrieben von Alexander Geisler

Alexanders Fazit (basierend auf der PlayStation-5-Fassung): Clair Obscur: Expedition 33 hat mich schon mit den ersten Spielszenen fasziniert. Die surreale Welt, die gefühlvolle und melancholische Stimmung, die vielschichtige Geschichte und die großartig geschriebenen Charaktere sorgen dafür, dass sich daran bis zum Ende nichts bei mir ändert. Genauso motiviert mich das rundenbasierte Kampfsystem mit einigen kreativen neuen Ideen, die sich gerne so manch anderer Genrevertreter abschauen darf. Zwar gibt es auch kleinere Macken wie die Steuerung bei der Erkundung und besonders bei Sprüngen, doch das kann den Spielspaß nicht mindern, zumal Clair Obscur: Expedition 33 vor allem von der spannenden und wendungsreichen Geschichte lebt. Damit gehört das Rollenspiel von Sandfall Interactive zu den besten Rollenspielen nach japanischer Machart, die ich in den letzten Jahren gespielt habe. Für mich ist Clair Obscur: Expedition 33 das, was ich mir schon seit Längerem wieder von Reihen wie Final Fantasy wünsche. Ein eindeutiger Anwärter auf das Spiel des Jahres, das sich kein Rollenspiel-Fan entgehen lassen sollte.

Erics Fazit (basierend auf der PlayStation-5-Fassung): Ähnlich wie meinem Kollegen Alexander habe auch ich einen Narren an diesem Spiel gefressen. Mir macht es ebenfalls sehr viel Freude, die melancholische Spielwelt von Clair Obscur: Expedition 33 bis in den letzten Winkel zu erkunden, mich kleineren wie größeren Gegnern zu stellen und meine Charaktere aufzustufen. Im Vorfeld hätte ich nicht gedacht, wie gut das funktioniert und wie hochwertig das Rollenspiel trotz des verhältnismäßig kleinen Entwicklerteams ausfällt. Ziemlich häufig habe ich das Gefühl, dass ich hier einen älteren Final-Fantasy-Serienteil spielen würde. Tja, wenn Square Enix meint, das rundenbasierte Rollenspiele niemand spielen will, muss das entstandene Vakuum eben von anderen Entwicklerstudios gefüllt werden, die ihr Handwerk wie im Falle von Sandfall Interactive verstehen. Lediglich die Menüstrukturen und die zu kleinen Bildschirmanzeigen sind für mich ein zu großes Dorn im Auge, denn wenn ich nicht auf Anhieb sehen kann, welche Ausrüstung und Fähigkeiten meine Charaktere ausgerüstet haben und ich meine Augen bei der zu geringen Textgröße alle paar Sekunden zusammenkneifen muss, kann da etwas nicht stimmen. Hier sollten die Entwickler also unbedingt nachbessern oder den Fehler bei einem Nachfolger nicht wiederholen. Clair Obscur: Expedition 33 gehört aller Unkenrufe zum Trotz dennoch in jede gut sortiere Rollenspielsammlung!

Vielen Dank an Kepler Interactive für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Clair Obscur: Expedition 33!

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