Review: Pikmin 4

Seit mehr als zwei Jahrzehnten sind die Pikmin nicht mehr von Nintendos Videospielsystemen wegzudenken. Jede Fortsetzung führt neue Elemente ein. Pikmin 4 ist dabei keine Ausnahme. Im Test entpuppt sich die vierte Episode gleich als abwechslungsreichster Serienteil.

Captain Olimar ist auf einem ihm fremden, uns aber sehr wohl bekannten Planeten abgestürzt und benötigt dringend Hilfe. Mit Mühe und Not gelingt es dem Schatzsucher, ein Notsignal abzuschicken. Der Rettungstrupp empfängt die Nachricht, muss aber ebenso eine Bruchlandung auf der Erde hinlegen. In Pikmin 4 schlüpfen wir deshalb in die Rolle einer zu Beginn eigens erstellten Spielfigur, der wir Aussehen und Namen verpassen. Unsere Aufgabe besteht darin, zunächst einmal den Rettungstrupp zu suchen und anschließend Olimar aufzuspüren. Ständig mit an unserer Seite ist bei diesem Unterfangen der Rettungshund Otschin, mit dem wir die gartenähnliche Spielwelt erkunden. Nach und nach sammeln wir die verschollenen Charaktere um uns und richten uns ein sicheres Versteck ein. Blöd nur, dass nicht nur Olimar, sondern auch viele weitere Personen neugierig auf den weitgehend unerforschten Planeten geworden sind. Deshalb haben wir in Pikmin 4 auch alle Hände voll zu tun und finden alle paar Meter einen weiteren Gestrandeten. Hinzu kommen seltsame und vom Rettungstrupp als Laublinge bezeichnete humanoide Kreaturen, die ein weiteres Mysterium fernab der titelgebenden Pikmin aufwerfen. Wer bisher noch nie einen Teil der langjährigen Pikmin-Reihe gespielt hat, bei dem dürften spätestens jetzt ein paar Fragezeichen über dem Kopf aufpoppen.

Abwechslungsreiche Pikmin-Arten

Bei den Pikmin handelt es sich um sehr kleine pflanzenartige Lebewesen, die zumindest in der virtuellen Realität im Garten leben. Da unsere Spielfigur wie die Angehörigen ihres Volkes nicht viel größer ausfallen, erleben wir das Abenteuer erneut zwischen überdimensionalen Grashalmen und gigantischen Kieselsteinen. Die Pikmin sind uns wohl gesonnt und helfen uns fortan bei der Arbeit. Damit wir unser Raumschiff wieder flott kriegen können, brauchen wir neben der Crew nämlich auch das das ominöse Glitzerium. Dieses stellen wir her, indem wir „Schätze“ wie Zahnbürsten, Gummienten, Hanafuda, Früchte, Spielzeuge und anderen Krimskrams durch den Transport per Pikmin einsammeln. Damit wir immer über genügend Pikmin verfügen, müssen wir für Nachschub sorgen, indem wir Blumenknöpfe oder totes Getier zur Knolle, dem Zuhause der kleinen Racker, transportieren. Hinzu kommt ein taktischer Ansatz, denn Pikmin gibt es auch im vierten Teil wieder einmal in verschiedenen Farben. So sind rote Pikmin feuerfest und noch dazu geübte Kämpfer. Gelbe Pikmin wiegen nicht so viel und lassen sich an höhere Plätze schleudern. Unter Wasser atmen können hingegen blaue Pikmin. Spezial-Pikmin gibt es ebenfalls: Eis-Pikmin können Wasserstellen gefrieren lassen und Fels-Pikmin eignen sich hervorragend dazu, um Wände aus Glas einzuschlagen. Genial!

Gelungene Rätselvielfalt

Mehr als zwanzig Jahre nach dem Seriendebüt kann auch Pikmin 4 auf ganzer Linie überzeugen. Das Gameplay ist zeitlos und zeigt erneut, dass Echtzeit-Strategiespiele auch auf einer Konsole bestens funktionieren. Auf kurz oder lang erweitern wir so unseren Suchradius und kommen in verschiedene Gebiete. Diese mögen thematisch zwar nicht unbedingt so viel Abwechslung bieten, doch gibt es in den weitläufigen Arealen auch kleinere, wenn oft surreal wirkende Untergründe mit mehreren Ebenen zu erforschen. Diese Mini-Dungeons legen wie in The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom den Schwerpunk auf Rätsel. Hier und da müssen wir einen Schalter aktivieren. An anderer Stelle achten wir darauf, nur eine Pikmin-Sorte einzusetzen, um die Verluste zu minimieren. So winken am Ende Schätze, neue Spezial-Pikmin und verlorene Personen, die unser Versteck bereichern. Die eingesammelten Personen tragen uns außerdem kleinere Aufgaben wie das Sammeln von einhundert Schätzen, dem Keimen von dreihundert Pikmin oder das Suchen nach weiteren Personen auf. Die meisten dieser Aufgaben erledigen wir im Vorbeigehen. Als Belohung erhalten wir für diese Aufgaben in Pikmin 4 das sogenannte Rohmaterial. Dieses verwenden wir beispielsweise für den Bau von Brücken an vordefinierten Stellen – oder wir tauschen es gegen nützliche Ausrüstung ein.

Otschin, die Allzweckwaffe

So erstellen wir uns beispielsweise einen Schatzdetektor oder erwerben Verbesserungen wie einen feuerfesten Anzug. Für Otschin gilt dasselbe – und auf ihn sollten wir uns früher oder später auch konzentrieren, da er gerade bei den Rätseln oder als zusätzlicher Lastenschlepper eine überaus große Hilfe ist. Wenn wir eine Person retten, steigt darüber hinaus Otschins Motivation. Ist der Hund genügend motiviert, können wir seine Fähigkeiten verbessern. So kann er schneller laufen, sich zügiger von Verletzungen regenerieren, ein größeres Gewicht tragen oder kräftiger zubeißen. Ja, wenn wir es geschickt anstellen, können wir gerade bei kleineren oder mittelgroßen Käfern, Würmern und Co unsere Pikmin zurückhalten und Otschin seine Arbeit verrichten lassen. Manche der großen Gegner scheinen zunächst unverhältnismäßig stark, lassen sich mit etwas Grips und Geschick aber ebenfalls leicht besiegen. Notfalls greifen wir zu Items in unserer Tasche, die wir im Labor ebenfalls im Austausch gegen Rohmaterial erhalten können. Beispielsweise dürfen wir Bomben konstruieren, die ordentlich an der Verteidigung der Gegner kratzen – oder Steinwände in der Spielwelt einreißen. Für fast jede Gelegenheit gibt es für jedes Item irgendeinen Nutzen. Es macht richtig viel Spaß, in dieser Hinsicht zu experimentieren. Pikmin 4 sorgt an allen Ecken und Enden für Überraschungen.

Nächtliche Ausflüge

Neben den rätsellastigen, aber durchaus entspannten Dungeons gibt es auch Aufgaben, die wir unter Zeitdruck lösen müssen. Diese nennen sich dandori, wobei es sich um das japanische Wort für Programm, Anordnung oder Vorbereitung handelt. Entsprechend müssen wir hier vorausdenken. Entweder müssen wir mit einer begrenzten Anzahl an Pikmin Puzzles lösen, Gegner bekämpfen und innerhalb eines Zeitlimits möglichst viele Punkte machen, oder wir stellen uns im Duell einem Laubling in den Weg. Hier müssen wir eine möglichst große Differenz zu den Punkten des Gegners ausbauen. Besiegen wir den verrückten Laubling, schleppen wir ihn mit ins Versteck, um ihn dort mit einem nachts herzustellenden Medikament zu behandeln. In den bisherigen Pikmin-Spielen ist es nur möglich, die Welt tagsüber zu erkunden. Dies wird damit erklärt, dass es nachts viel zu gefährlich sei. Nichtsdestotrotz können wir in Pikmin 4 auf Nachtwanderung gehen. Hier unterscheidet sich das Spiel jedoch etwas, denn es stehen uns nur leuchtende Pikmin zur Verfügung. Außerdem ist es hier nicht unsere Aufgabe, Schätze zu sammeln. Stattdessen müssen wir Leuchthügel bis zum Morgengrauen vor Angriffen verteidigen und währenddessen die Population der leuchtenden Pikmin erhöhen. Gelingt uns dies, erhalten wir eine Flüssigkeit zur Heilung der gesammelten Laublinge.

Fantastischer Titel mit Multiplayer-Defizit

Wer von dandori nicht genug bekommt, kann die Duelle auch im Zwei-Spieler-Modus spielen. Dies funktioniert jedoch nur lokal. An eine Online-Anbindung hat Nintendo leider nicht gedacht. Auch die Kampagne lässt sich zu zweit spielen, doch der Mitspieler kann lediglich mit einem Fadenkreuz auf Gegner zielen und Steine werfen. Schade, denn Pikmin 4 eignet sich eigentlich hervorragend dafür, die Kampagne simultan und kooperativ zu spielen. Hier verpasst Nintendo eine große Chance! Dennoch passt dies zum sehr bequemen Gameplay, denn bis auf das dandori gibt es im vierten Serienteil keinerlei Zeitdruck. Wir können uns genau die Zeit nehmen, die wir benötigen, um die Rettungscrew oder Olimar zu retten und das Geheimnis um die Laublinge aufzudecken. Auch wenn die Untergründe und die nächtlichen Ausflüge etwas dunkler wirken, setzt das Spiel überwiegend auf einen bunten Grafikstil. Das wie im Spielfluss zu meisternde Geschehen läuft darüber hinaus sehr stabil. Hinzu kommt eine angenehme Musik, die genau die richtigen Akzente setzt – und wenn glückliche Pikmin wie in einer Armee hinter uns herlaufen und auf einmal anfangen zu singen, reißt uns das völlig vom Hocker. Kurzum: Pikmin 4 spielt sich gut, sieht schick aus, ist akustisch wunderbar untermalt und überrascht immer wieder mit Kleinigkeiten. Es ist eines der besten Spiele 2023!

Geschrieben von Eric Ebelt

Erics Fazit: Pikmin 4 begeistert von der ersten Minute. Peu à peu führt mich das Spiel an die Materie heran, erklärt mir wunderbar jeden einzelnen Schritt, ohne mich unmündig zu erklären, und lässt mir darüber hinaus genügend Raum, mit Items und weiteren Spielmechaniken zu experimentieren. Jeder einzelne Tag bis zur Rettung von Captain Olimar stellt mich vor neue Herausforderungen und lässt mich Erlerntes vertiefen und intuitiv einsetzen. Noch dazu hetzt mich das Spiel bis auf die dandori-Abschnitte nicht – und selbst die lassen sich mit etwas Einarbeitung schnell lösen. Pikmin 4 mischt wie kein anderer Genre-Vertreter Elemente von Echtzeit-Strategiespielen und Action-Adventures. Wenn ich mich über etwas im Spiel ärgere, dann ist das allenfalls die manchmal etwas ungeschickte künstliche Intelligenz, denn wenn zu transportierende Objekte nahe beieinander liegen, verstehen die Pikmin ihren Befehl manchmal falsch und wählen das nicht anvisierte Objekt aus. Das ist aber selten gravierend, weshalb dieser Umstand für mich nicht weiter ins Gewicht fällt. Für mich ist Pikmin 4 ein Ausnahmespiel und zeigt sehr gut, wie konsolenfremde Genres auf einer Konsole funktionieren.

Vielen Dank an Nintendo für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Pikmin 4!

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