Seit dem Jahr 2005 werkelt der japanische Zeichenkünstler Yukimura Makoto an seiner Manga-Reihe Vinland Saga. Nachdem Studio Wit den Auftakt der Serie 2019 als Anime umsetzte, führte das Animationsstudio Mappa die Arbeit im Jahr 2023 mit einer zweiten Season fort.
Ninja, Piraten oder Wikinger – es gibt verschiedene Stereotypen der Menschheitsgeschichte, die aus der Populärkultur nicht mehr wegzudenken sind. Häufig wird die Historie in solchen Werken jedoch stark romantisiert. Derlei Aspekte sind auch in der zweiten Staffel von Vinland Saga zu erkennen, doch wird der Fokus vom Krieg abgezogen und auf ein anderes, aber immer noch damit zusammenhängendes Element verlagert. So dreht sich die Anime-Serie diesmal um die Thematik der Sklaverei. Wenn Krieger einen Ort erobert haben, stand ihnen das Recht zu, zu brandschatzen, zu plündern und die Überlebenden in die Sklaverei zu treiben. Ein ähnliches Schicksal hat auch Protagonist Thorfinn erlitten, der nach den Geschehnissen der ersten Staffel sein Dasein als Sklave fristen muss. Inhaltlich setzt die zweite Season einige Monate nach dem Finale der ersten Staffel ein. Obwohl Thorfinn nach wie vor eine zentrale Rolle spielt, verlagert sich die Erzählung auf einen neuen und ebenso wichtigen Charakter. Der Bauer Einar verliert bei einem Angriff auf sein Dorf seine Familie und wird versklavt. Gekauft wird er vom Großgrundbesitzer Ketil, der ihn auf seinem Hof arbeiten lässt. Dort lernt er Thorfinn kennen. Von ihrem Herrn und Meister erfahren sie, dass er ihnen die Freiheit schenkt, sobald sie genügend Bäume gefällt und ertragreiche Felder angelegt haben.
Friede, Freude, Sklaverei
Sicherlich wurden im Mittelalter Sklaven nicht alle gleich gut oder gleich schlecht behandelt, doch Thorfinn und Einar scheinen es in dieser romantisierten Form gut getroffen zu haben. Obwohl die beiden Tag ein und Tag aus schuften müssen, verrichten sie ihre Arbeit mit Freude. Dennoch stehen ihnen nur begrenzte Mittel zur Verfügung, um Bäume zu fällen und zum Abtransport an den Fluss zu schleppen. Zudem werden sie von den in der Hierarchie über ihnen stehenden Landarbeitern drangsaliert, indem sie nur einen Bruchteil der ihnen versprochenen Mahlzeiten ausgehändigt bekommen. Freundschaft schließen sie vor allem mit Sverkel, Ketils Vater, der ihnen für ein paar zusätzliche Aufgaben verschiedene Werkzeuge und ein Pferd leiht. Zu den neuen Charakteren von Vinland Saga gesellt sich auch die Sklavin Arnheid hinzu, in die sich Einar hoffnungslos verliebt. Während erst Tage, Wochen, Monate und schließlich Jahre auf dem Hof vergehen, rücken Einar und Thorfinn ihrer Freiheit immer näher. Gerade dann melden sich am Horizont die ersten Unheil verkündenden Gewitterwolken. Ketils jüngster Sohn Olmar macht sich am Hofe von König Knut unbeliebt, worin der Monarch eine Möglichkeit sieht, Ketils Hof zu beschlagnahmen. Noch dazu taucht wie aus dem Nichts Arnheids Ehemann auf, der sich mit den Schergen des Söldners Schlange anlegt.
Überlappende Handlungsstränge
Obwohl Thorfinn dem Kämpfen abgeschworen hat, steht ab einem gewissen Punkt die Gefahr im Raum, dass ihn die Wirren des Krieges erneut in den Abgrund ziehen. Der Protagonist von Vinland Saga wird daher mehrfach auf die Probe gestellt, was sich mitunter in einer Traumsequenz mit Thorfinns verstorbenen Widersacher Askeladd widerspiegelt. Auch König Knut hat mit den Geistern der Vergangenheit zu kämpfen, wodurch beide Figuren einen nicht unerheblichen Gegenpol zueinander bilden. Als weiteren Handlungsstrang ist Leif immer noch auf der Suche nach dem verschollenen und von seiner Mutter und Schwester für tot gehaltenen Thorfinn. Ob Leif bei diesem Vorhaben Erfolg hat, soll aber nicht verraten werden. Es ist jedoch schön zu sehen, wie die verschiedenen Handlungsstränge teilweise überlappen und zum Ende ein weitgehend erfreuliches Finale bilden. Bei der Vielzahl an bekannten wie neuen Nebenfiguren ist das sicherlich nicht selbstverständlich. Unter dem nach wie vor eingesetzten Regisseur Yabuta Shūhei funktioniert dies in allen 24 enthaltenen Episoden von Vinland Saga auf ganzer Linie. Es ist jedoch dringend zu empfehlen, die erste Staffel gesehen oder zumindest den Manga bis zu dieser Stelle gelesen zu haben. Andernfalls könnten verschiedene Charakterkonstellationen, obwohl sie eigentlich gut erklärt sind, nicht direkt verstanden werden.
Gelungene, aber entschleunigte Fortsetzung
Trotz der herausragenden Erzählweise kann die zweite Staffel nicht ganz mit dem Seriendebüt mithalten. Dies liegt vor allem daran, dass gerade die erste Hälfte der Season unglaublich entschleunigt inszeniert ist. Aufgrund dessen, dass der Fokus auf der Sklaverei liegt, gibt es nur wenige Auseinandersetzungen, die ein wenig den Actionanteil in die Höhe schnellen lassen. Vielmehr kommt der Zuschauer in den Genuss einer ruhigen Erzählweise, die aber gerade beim Anschauen von mehreren Episoden am Stück etwas langwierig sein kann. Könnt ihr mit langatmigen Handlungsbögen nicht viel anfangen, solltet ihr die Staffel in portionierten Stücken zu Gemüte führen. Andernfalls würdet ihr eine gelungene Fortsetzung verpassen. In visueller Hinsicht wirkt die zweite Staffel – zumindest gefühlt –, qualitativ aber ein wenig schlechter als der Auftakt. Trotz allem können die Handlungsorte in Nordengland, Dänemark und Island zu verschiedenen Jahreszeiten unter atmosphärischen Gesichtspunkten überzeugen. Auch die Musik passt zum Geschehen. Das Opening, das in der ersten Staffelhälfte Verwendung findet, lässt sogar etwas an die Intros von James Bond erinnern. Die Synchronfassung von Crunchyroll, die sich ab der zweiten Staffel teils von der Netflix-Synchronisation unterscheidet, kann mit bekannten Sprechern wie Tommy Morgenstern oder Klaus-Dieter Klebsch punkten. Wer wissen will, wie es mit Thorfinn weitergeht, sollte also definitiv dran bleiben!
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit (basierend auf dem Stream bei Crunchyroll): Nachdem mir schon die erste Staffel von Vinland Saga gut gefallen hat, musste ich auch bei der zweiten Season einen Blick riskieren. Leider hat das Anschauen länger als erwartet gedauert, denn die Serie nimmt sich 24 Folgen lang viel Zeit zum Entfalten. In aller Seelenruhe wird mir der Alltag in der Sklaverei, der romantisiert dargestellt ist, erzählt. So komme ich zwar in den Genuss zahlreicher zwischenmenschlicher Momente und Beziehungen, doch dürfte es für meinen Geschmack etwas schneller oder actionlastiger sein, zumal es genug Nebencharaktere gibt, die diese Lücken füllen könnten. Gut, das ist wohl der Manga-Vorlage geschuldet. Wer diese kennt, dürfte an der zweiten Season kaum etwas auszusetzen haben. Die Story ist trotz aller Längen interessant und spannend. Durch den Wechsel des Animationsstudios meine ich mir ein paar Abschwächungen in der technischen Qualität einzubilden, die aber nicht sonderlich stark ins Gewicht fallen. Sowohl visuell als auch auditiv kann Vinland Saga in der zweiten Staffel eine starke Atmosphäre errichten. Ob eine dritte Staffel erscheint, ist zum Testzeitpunkt am 16. Februar 2024 noch unklar – ich würde mir eine solche aber wünschen, da der Manga noch nicht zu Ende erzählt ist und die Charaktere durchaus noch Potenzial haben. Sollte es nicht dazu kommen, und das dürfte für euch von Belang sein, könnt ihr euch am Ende der 24. Episode dieser Staffel auf ein versöhnliches und zudem hoffnungsvolles Finale freuen.
Vielen Dank an Crunchyroll für die freundliche Bereitstellung des Zugangs zum Streaming-Angebot!