Special: Angeln in Videospielen und Angeln als Videospiel

Angeln gehört in der Realität als auch im Videospiel zu den gemütlichsten und zugleich spannendsten Aktivitäten. Um die Faszination des Fischens einzufangen, werfen wir einen Blick auf Minispiele, Nebenbeschäftigungen und vollwertige Angelausflüge in Videospielform.

Mensch gegen Fisch: So leicht lässt sich die Faszination des Angelns ausdrücken. Um die Begeisterung fürs Fischen in Videospielen zu verstehen, ist es vor allem notwendig, einen Blick auf die Geschichte des Genres zu werfen, das eigentlich gar kein echtes Genre ist. Auch wenn verallgemeinert oft die Rede von Fishing Games ist, bedienen sich die Spiele zahlreicher Elemente anderer Genres und setzen sie für sich neu zusammen. In der Regel handelt es sich beim fertigen Produkt viel eher um Simulationen, Rollen- und Geschicklichkeitsspiele. Zu letzterem Genre gehört mit Fishing Derby für das Atari 2600 aus dem Jahr 1980 auch eines der ersten Angelvideospiele. Das Gameplay von Fishing Derby ist aus heutiger Sicht äußerst rudimentär: Zwei Angler sitzen sich auf einem Steg gegenüber, lassen die Angelschnur ins Wasser fallen und fischen um die Wette. Dabei muss darauf geachtet werden, dass der knapp unter der Oberfläche schwimmende Haifisch die kleinen Fische nicht frisst. Obwohl diese nur spartanisch über den Bildschirm flitzen, sind sie unterschiedlich schwer. Das hat Einfluss auf das Spielende, denn wer zuerst einen Fischfang von über 99 Pfund vorweist, gewinnt die Partie. Heute mag das simple Gameplay nur ein müdes Lächeln hervorlocken, zu Beginn der 1980er-Jahre lieferten sich Videospieler hier ein hitziges Kopf-an-Kopf-Rennen.

Von den Anfängen zum Rollenspiel

1983 gelang es Videospieldesigner Dirk Olivier mit Angler für das Sinclair ZX Spectrum das Konzept zu verfeinern. Hier darf ein in einem Boot sitzender Angler an der Meeresoberfläche nach links und rechts bewegt werden. Im Meer selbst schwimmen Fische, Krabben und Seeungeheuer gemütlich vor sich her. Ziel des Spiels ist, möglichst viele Fische und kleinere Seeungeheuer zu fangen. Krabben sollten dabei aber tunlichst außen vorgelassen werden, denn ähnlich wie der gefräßige Hai in Fishing Derby haben es die Krabben auf den Fang des Anglers abgesehen. Einen weiteren Durchbruch erzielte drei Jahre später The Black Bass für das MSX und das Nintendo Entertainment System. Hier sollen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang möglichst viele der titelgebenden Barsche gefangen werden. Hinzu kommt, dass das Geschehen in die Vogelperspektive verlagert wurde und es möglich ist, mit bewusstem Einholen der Angelschnur Fische anzulocken. Ein wenig spektakulärer inszeniert ist da schon The Blue Marlin von 1991, das das Angeln zeitweise in einen Kampfbildschirm versetzt, in dem der Fisch um sein Leben kämpft, der Angler wie wild an der Kurbel dreht und Anzeigen darauf aufmerksam machen, wie viel Meter Schnur noch eingeholt werden müssen. Hier ist der Einfluss der nur ein Jahr zuvor gestarteten japanischen Rollenspielreihe Kawa no Nushi Tsuri, die das „Genre“ der Fishing Games in ganz neue Bahnen lenkte, zu spüren.

Degradierung zum Minispiel

Diese Entwicklung hat gezeigt, dass es immer wichtiger wurde, das Angeln in Videospielen authentischer zu gestalten. Abgesehen von irrwitzigen Kämpfen gegen Maulwürfe, Fledermäuse und anderes Getier, die sicherlich nicht zu dieser Entwicklung beigetragen haben, ist es in Kawa no Nushi Tsuri nötig, darauf zu warten, bis ein Fisch anbeißt. Dies ist genau das Gegenargument für ungeduldige Naturen, die insbesondere vom Angeln in der Realität abgeschreckt werden. Bis Ende der 2000er-Jahre erschienen mindestens 16 Ableger des Franchises, bis es schließlich in Vergessenheit geriet. Durch die Angelrollenspiele wurden jedoch vor allem Action-Adventures wie The Legend of Zelda: Link’s Awakening für den Game Boy, dessen Switch-Remake oder Rollenspiele wie die zweite und dritte Episode von Breath of Fire stark beeinflusst. So gibt es hier und da Angelstellen oder gar extra dafür vorgesehene Angelteiche, an denen sich die Helden Link und Ryū im Fischen probieren dürfen. Genutzt wird das Feature hauptsächlich dazu, neue Rekorde aufzustellen, versteckte Items freizuschalten oder die Geldbörse aufzufüllen. Notwendig ist das Angeln in den Abenteuern aber nur in den seltensten Fällen. Sie dienen lediglich als Minispiele dazu, sich die Zeit zu vertreiben und vom Alltag abzuschalten, auch wenn der vormals angestrebte Realismus manchmal reduziert wirkt.

Nebensächliche Freizeitbeschäftigung

Um das Spielvergnügen nicht zu schmälern, setzen die Entwickler alles daran, dass der Spieler möglichst viele Erfolge verzeichnen kann. Entsprechend ist auch das Fangen eines Fisches nicht sonderlich zeitintensiv. Immerhin kamen mit der Zeit weitere Neuerungen wie eine deutlich größere Auswahl an Angelruten und Köder hinzu. Im Nintendo-Titel The Legend of Zelda: Twilight Princess aus dem Jahr 2006 ist es sogar möglich, mit einem Boot durch ein abgestecktes Areal zu paddeln und den Standort ähnlich zu wechseln, wie es schon in The Blue Marlin der Fall war. In The Legend of Zelda: Breath of the Wild von 2017 gibt es zwar keine Angelrute mehr, dafür aber die Option, mit Bomben ganze Fischteiche leer zu sprengen und die Überreste einzusammeln. Beim 1997 erstmals veröffentlichten Breath of Fire III für die PlayStation muss neben der Wahl des richtigen Köders auch stets die Wassertiefe und die Wurfweite beachtet werden. Obwohl das Minispiel wie ein Arcade-Spielchen anmutet, ist es dafür verhältnismäßig detailliert. Das genaue Gegenteil dürfte das Angeln als Freizeitbeschäftigung in den GameCube-Spielen Animal Crossing und Harvest Moon: A Wonderful Life sein. Hier reicht es aus, sobald der Fisch angebissen hat, die Angelschnur auf Knopfdruck einzuholen. Das ist zwar nicht sonderlich spannend, ergänzt die beiden Lebens- und Bauernhofsimulationen aber hervorragend, da diese grundsätzlich auf zahlreiche kleine Aktivitäten aufbauen.

Höhepunkte des Angelns

Bei manchen Spielen bleibt die Angelrute aber nicht rein virtuell, denn Spiele wie Reel Fishing für die PlayStation aus dem Jahr 1996 oder der Arcade- und Dreamcast-Titel Sega Bass Fishing von 1997 setzen auf einen besonderen Angelrutencontroller, um das Spektakel auch vor dem Fernsehbildschirm zu intensivieren. Die Liebe der Entwickler zum Angeln ging sogar soweit, dass sie für ihre Angelvideospiele gelegentlich bekannte Angler als Namenspaten wählten. Dazu zählen unter anderem der Amerikaner Mark Davis, der Brite Matt Hayes und die beiden Japaner Kashiwagi Shigetaka und Matsukata Hiroki. Sie konnten wie Tony Hawk oder Kelly Slater im Sportsegment verschiedenen Spielen ihren persönlichen Stempel aufdrücken, wenn dies auch wesentlich kleinere Wellen geschlagen haben dürfte. Auch wenn Reihen wie Kawa no Nushi Tsuri nicht (mehr) fortgeführt werden, ist das Szenario nach wie vor quicklebendig. Selbst in Videospielen, in denen es kaum jemand erwarten würde, gibt es kleinere und auch größere Angelabenteuer zu erleben. Im Wüstenland Super Mario Odyssey aus dem Jahr 2017 darf zum Beispiel an einer Oase in die Rolle eines Angler-Lakitu geschlüpft werden, um Cheep-Cheeps zu fangen. Final Fantasy XV von 2016 kommt auch ohne Angelminispiel aus – und scheucht den Spieler an mehrere Angelteiche quer durch die Spielwelt.

Zu füllendes Genrevakuum

Angeln ist als Tätigkeit aus Videospielen einfach nicht mehr wegzudenken. Vor allem kleinere Spiele oder zumindest jene, die dafür gehalten werden, profitieren davon. Damit sind unter anderem Werke wie die Alchemiewerkstatt Potion Permit oder der Bauernhofsimulationsprimus Stardew Valley gemeint. Allerdings baut ein Großteil dieser Spiele tatsächlich auf Mechaniken auf, die sich aus den Anfängen entwickelten, sich in Rollenspielen manifestierten und als seichte Minispiele in Harvest Moon respektive Story of Seasons einen guten Ruf erarbeitet haben. Es gibt jedoch Ausnahmen, die aus der Menge ausbrechen, die Mechaniken mit anderen Videospielen vermischen und eigenständig funktionieren. Dave the Diver von 2022 ist beispielsweise ein solches Spiel, denn hier geht es mit einer Harpune bewaffnet in die Untiefen des Meeres, wo zahlreiche Fische lauern. Greifbarer kann der eingangs erwähnte Kampf „Mensch gegen Fisch“ wahrhaftig nicht werden. Schlussendlich sind es aber Nischentitel wie Let’s Fish! Hooked on für die PlayStation Vita oder Reel Fishing: Road Trip Adventure und Pocket Fishing für die Switch, die auch noch in den 2010er- und 2020er-Jahren das Interesse fürs Angeln bei Videospielern wecken wollen. Das großartige, massentaugliche oder gar preisgekrönte Fishing Game lässt aber selbst Anfang 2024 auf sich warten. Um diese Nische zu füllen, haben die Entwicklerstudios dieser Welt also noch einen weiten Weg vor sich.

Geschrieben von Eric Ebelt

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