Detektivgeschichten begeistern die Menschen seit jeher. Auch urbane Legenden hinterlassen in unserer Gesellschaft ihre Spuren. Selbst Visual-Novel-Adventures feiern teils unglaubliche Erfolge. Urban Myth Dissolution Center dürfte das Ergebnis dieser Entwicklungen sein.
In Japan haben urbane Legenden offenbar eine besondere Bedeutung. Sie scheinen die Menschen derart zu faszinieren, dass selbst ganze Entwicklerstudios nicht davon verschont bleiben. Nachdem 2024 nach langer Zeit mit Emio: Der lächelnde Mann – Famicom Detective Club ein weiterer Teil der weniger bekannten Adventure-Reihe erschienen ist, legt Shūeisha Games mit Urban Myth Dissolution Center nach. Wir schlüpfen in die Rolle der Studentin Fukurai Azami, die seit geraumer Zeit schemenhafte Gestalten sieht. Der Fall muss geklärt werden, weshalb sie das Zentrum zur Eliminierung urbaner Legenden aufsucht. Anstatt dass sich der Zentrumsleiter Meguriya Ayumu sich ihrem Problem annimmt, spannt er sie sofort für seine eigenen Zwecke ein. Bei der Untersuchung geht nämlich ein Stuhl zu Bruch, den er mit zehn Millionen Yen veranschlagt – und diese Schulden müssen wir mit Azami natürlich abarbeiten. Fortan sind wir also Angestellte des ominösen Zentrums. Wenige Augenblicke später lernen wir auch noch Tomarigi Yasumi kennen, die uns zu unserem ersten Außeneinsatz fährt. Hierbei lernen wir auch alle wichtigen Kniffe von Urban Myth Dissolution Center kennen, die wir benötigen. Mit ansteigender Spielzeit entpuppt sich das Spiel immer mehr als gelungene Mischung aus kuriosen Mystery-Ereignissen und spannender Detektivgeschichte.
Detektivgeschichte in einer Welt voller urbaner Legenden
Sobald wir uns am Tatort befinden oder ein anderes Areal unsicher machen, dürfen wir uns auf einer zweidimensionalen Ebene nach links und rechts eher eingeschränkt bewegen. Die Elemente, mit denen wir interagieren dürfen, sind entweder farblich hervorgehoben oder mit entsprechender Symbolik markiert. Damit ist es in Urban Myth Dissolution Center eigentlich nicht möglich, etwas zu verpassen. So bestehen unsere Aufgaben vor allem darin, die Personen, die in diese urbanen Legenden hineingezogen werden, mehrfach zu befragen. Ebenfalls sammeln wir Indizien und Beweise am Tatort. Wer jetzt an Ace Attorney, Judgment oder L.A. Noire denkt, liegt gar nicht mal so falsch. Shūeisha Games geht mit dem vorliegenden Adventure jedoch einen leicht anderen Weg. Bevor wir am Ort des Geschehens eintreffen, betreiben wir im Internet der Spielwelt Spurensuche. Online analysieren wir in den sozialen Medien veröffentlichte Fotografien oder nehmen etwaige Beiträge unter die Lupe. Mit einer gesonderten Brille, die wir Azami jederzeit aufsetzen können, entdecken wir hierbei diverse Querverweise zu weiteren urbanen Legenden. Außerdem lässt die Brille die schemenhaften Figuren klar und deutlich materialisieren, die uns darüber hinaus weitere Hinweise liefern. Urban Myth Dissolution Center ist intelligent inszeniert und liest sich auch besonders gut.
Gelungene Lokalisierung mit bewusstem Hintergedanken
Obwohl das Genre nicht gerade dafür bekannt ist, in weiteren Sprachen als Japanisch oder Englisch lokalisiert zu werden, liegt Urban Myth Dissolution Center vollständig auf Deutsch vor. Zwar sind die zahlreichen Bildschirmtexte, wie sie für das Genre üblich sind, wirklich gut geschrieben, doch ist dem Titel anzukreiden, dass es keine Synchronisation gibt. Zumindest eine japanische Sprachausgabe hätten wir uns gewünscht, welche die Authentizität aufgrund des fernöstlichen Settings durchaus erhöht hätte. Der Übersetzung schreiben wir auch aus einem anderen Grund besonderes Gewicht zu. Hier und da müssen wir Schlussfolgerungen anstellen, indem wir mehrere Satzbausteine in einem Lückentext richtig zuordnen müssen. Dadurch, dass die deutsche Grammatik komplexer ist als beispielsweise ihr englisches Pendant, müssen Flexionen und dergleichen einfach sitzen. Am Ende kommen fehlerfreie und sinnbehaftete Sätze zusammen. Grafisch schwimmt der Titel mit seinem 8-Bit-Look auf der Retro-Welle mit und ähnelt deshalb dem Ende 2024 veröffentlichten Paper Perjury, das in eine ähnliche Kerbe fällt, aber mit 16-Bit-Grafiken punktet. Die Musik passt indessen ebenso zum Charakter des Spiels. Fans von Adventures, die nichts gegen einen hohen Textanteil haben, lassen sich das leicht unorthodoxe Urban Myth Dissolution Center nicht entgehen.
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit (basierend auf der PC-Fassung): Adventures wie Urban Myth Dissolution Center treffen mit ihren seichten, aber regelrecht überdreht inszenierten Inhalten einen Nerv bei mir. Es macht mir sehr viel Freude, die Protagonistin auf der Reise zu ihrer eigenen Genesung zu unterstützen. Die urbanen Legenden sind zwar wie in der Realität völliger Humbug, haben aber zumindest im Spiel einen wahren Kern, der Azami immer tiefer in den Kaninchenbau führt. Noch dazu ist das Gameplay leicht zu verstehen und funktioniert bei den Rätseln dank der hervorragenden Lokalisation im Vergleich zu anderen Titeln des Genres besonders gut. Grundsätzlich kann ich am Spiel kaum negative Eigenschaften entdecken. So gefällt mir auch der Retro-Anstrich sehr, obwohl mir 16-Bit-Grafiken deutlich mehr zugesagt hätten. An der Musik habe ich ebenso nichts auszusetzen. Nur eine (japanische) Synchronisation hätte ich mir für ein audiovisuell schönes Gesamtbild gewünscht. Dass das Spiel in kurzen Intervallen speichert und die Steuerung einwandfrei funktioniert, setzt der Torte das Sahnehäubchen auf. Ich kann Urban Myth Dissolution Center jedem Genrefan bedenkenlos empfehlen, sofern er etwas mit dem Setting anzufangen weiß.
Vielen Dank an Shūeisha Games für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Urban Myth Dissolution Center!