Review: Judgment

Mit Judgment zeigt der Entwickler hinter den Yakuza-Spielen, dass auch in einem Detektiv-Setting wuchtige Kloppereien und irrwitzige Missionen noch immer Spaß machen. Auch im altbekannten Stadtteil Kamurochō, den Yakuza-Fans bereits zugenüge kennen sollten.

Einst ein renommierter Anwalt, sieht sich Yagami Takayuki nach nur einer Niederlage vor Gericht auf den Straßen Kamurochōs wieder. Eigentlich hatte er den Fall gewonnen, immerhin konnte er einen Freispruch erwirken. Nachdem sich der Angeklagte dann doch als kriminell herausstellte, blieb Yagami aus Rücksicht und der Etikette nichts anderes übrig, als seinen Posten zu räumen. Als selbstzweifelnder Privatdetektiv schlägt er sich nun um die Runden; Kontakte zu seinem alten Arbeitsgeber, zu der Yakuza und der Polizei pflegt er aber seit jeher. Die kann er auch gut gebrauchen, denn selbstverständlich entwickelt sich in Judgment wie in den Yakuza-Spielen schnell ein komplexer Thriller-Plot voller Intrigen und Gewalt; nun aber aus der Sicht eines Ermittlers. Der neue Hauptcharakter ist nicht von Anfang an so charismatisch wie der stoische Kiryū Kazuma, zeigt dafür aber mehr Charakter. Sobald die Geschichte ins Rollen gerät, wird klar, dass nicht nur die Intrigen zwischen der Yakuza, der Polizei und unterschiedlichen zwielichtigen Gruppierungen im Mittelpunkt von Judgment stehen, sondern auch die Figur von Yagami. Weder gebunden an den Kodex der Yakuza, noch in den Diensten der Polizei, hat er wesentlich größere Freiheiten, die erfreulicherweise auch von den Story-Autoren genutzt werden.

Eine Stadt voller Möglichkeiten

Von Beginn an lässt sich Judgment jedoch sehr viel Zeit, um seine Geschichte und Spielmechaniken einzuführen. Erst ab dem zweiten Kapitel – nach etwas mehr als vier Spielstunden – werden auch die altbekannten Yakuza-Elemente wie verrückte Nebenmissionen und Minispiele zugänglich. Hier punktet Judgment ebenso wie Yakuza mit seiner Leichtherzigkeit; denn trotz ernstem Thriller-Komplott darf sich Yagami in den engen Gassen von Kamurochō nach Herzenslust austoben. Sei es Poker, Flipper oder das neue Wettrennen mit ferngesteuerten Drohnen. Auch Kamurochō ist in der digitalen Welt angelangt, weswegen es niemanden verwundert, dass solche technischen Spielereien, Virtual-Reality-Brillen und durchtriebene Yakuza-Bosse mit Smartphones Teil der Spielerfahrung sind. Im Kampf gelten trotzdem noch die alten Regeln; sprich derjenige mit den härteren Fäusten gewinnt. Während seinen „Ermittlungen“ muss auch Yagami oftmals handgreiflich werden, wobei ihm zwei Kampfstile zur Verfügung stehen. Im Kranich-Stil fällt es ihm leichter, mehrere Gegner auf einmal aufs Korn zu nehmen, während der Tiger-Stil für einzelne Gegner wie starke Bossgegner besser geeignet ist. Beide Stile haben einzigartige Angriffscombos, die mit der verdienten Währung im Spiel freigeschaltet werden.

Die Mühen eines Detektivs

Gekauft werden müssen auch die EX-Aktionen, der neue Name für die brachialen Heat-Action-Finisher-Moves, die nun wieder so hart inszeniert sind wie in Yakuza Zero und Yakuza Kiwami. Sobald die Anzeige über stinknormale Angriffe gefüllt ist, nimmt Yagami kontextsensitiv mit Hilfe der Umgebung seine Gegner auseinander. Neu sind Wandsprünge, die dem flexiblen Yagami als Starthilfe für starke Tritte dienen und besonders cool aussehen. All diese Yakuza-Elemente wurden gut in die neue Thematik eingebunden, etwas anders sieht es bei den neuen Gameplay-Elementen aus. Zum Beispiel ist das Beschatten von Verdächtigen nichts anderes als eine zähe Verfolgungsmission, währenddessen der Spieler ohne Freiheiten von Deckung zu Deckung latschen muss – und das leider auch noch viel zu oft. Dietrich-Minispiele zum Öffnen von Türen entpuppen sich als ebenso schnell repetitiv. Einige Neuerungen können aber dennoch überzeugen. So macht das Auskundschaften von Gebäuden und Personen mit der Drohne ebenso die furios inszenierten Verfolgungsjagden mit Quick-Time-Events wirklich Spaß. In einem möglichen Nachfolger sollten einige dieser Elemente zugunsten des Spielflusses aber abgeändert werden.

Globalisiertes Kamurochō

In Judgment spielt sich alles einmal mehr in der modernen Variante des Tōkyōer Stadtteils Kamurochō ab. Dementsprechend werden Yakuza-Kenner Orte wie den Laden Don Quijote oder den Children’s Park wiedererkennen, nun wie schon in Yakuza 6: The Song of Life und Yakuza Kiwami 2 im Antlitz der neuen Engine. Auch wenn der Stadtteil selbst wie so oft dieselbe Struktur aufweist, hat sich Kamurochō etwas verändert. Farblich setzt Judgment vermehrt auf weiße, blaue und orange Töne, womit auch die von Straßenschildern und Reklamen beleuchteten Häuserschluchten in einem neuen Licht erstrahlen. Besonders ist die englische Sprachausgabe, die trotz des fremden Settings gut gelungen ist. Zum ersten Mal kann Kamurochō auch mit Unterstützung deutscher Untertitel erkundet werden – zwei große Schritte in die richtige Richtung der Zielgrößenerweiterung, ohne das Spiel selbst an den Mainstream anzupassen. Auch, weil Judgment nicht der x-te Teil der Yakuza-Reihe ist und mit Yagami zudem ein neuer Charakter im Mittelpunkt der Erzählung steht, bietet sich dieses Spiel als Einstieg perfekt an. Lediglich über den zähen Einstieg muss man erst mal hinwegkommen.

Geschrieben von Jonas Maier

Jonas‘ Fazit: Judgment bietet viele neue Elemente und verändert einiges an der altgedienten Yakuza-Formel, ohne dieser aber zu weit den Rücken zu kehren. Wer schon mit den Yakuza-Episoden seinen Spaß hat, wird sich in diesem Spiel trotz neuer Marke auch sofort wieder zu Hause fühlen. Neue Spieler finden wie bei Yakuza Zero einen weiteren perfekten Einstiegspunkt in den detaillierten Stadtteil Kamurochō. Schade ist, dass Spielsysteme wie das Schlösserknacken oder die Verfolgungspassagen ein wenig an den Nerven kratzen und noch dazu überpräsent sind. Vor allem im linearen Einstieg kommt man um diese nicht herum. Dafür schafft es der Plot rund um Serienmorde und einer Yakuza-Verschwörung direkt von Beginn an zu begeistern, nun sogar auch mit deutschen Bildschirmtexten.

Vielen Dank an Sega für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Judgment!

 

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