Am 11. November 2014 erschien nicht nur Assassin’s Creed: Rogue für die betagten Konsolen PlayStation 3 und Xbox 360, sondern auch der Sprung auf die nachfolgende Generation. Trotz des passenden Settings blieb die Revolution in Assassin’s Creed: Unity aber leider aus.
Übersättigung schien im Jahr 2014 sowohl für Ubisoft als auch für Fans der Assassinenreihe ein Fremdwort gewesen zu sein. Anders ist es in meinen Augen nicht zu erklären, dass es dem französischen Unternehmen Ubisoft gelang, gleich zwei vollwertige Ableger des Franchises an ein und demselben Tag zu veröffentlichen. Nachdem ich mich im achten Teil dieser Kolumnenreihe bereits an Assassin’s Creed: Rogue gewagt habe, widme ich meine unverdiente Aufmerksamkeit diesmal Assassin’s Creed: Unity. Obwohl ich nicht mit viel gerechnet habe – und ich sage es euch gleich, ich habe auch nicht viel bekommen –, hatte ich dennoch so etwas wie Vorfreude auf das Spiel. Nicht nur schlummert unter der Haube der PlayStation 4 respektive der Xbox One ungleich viel mehr Hardwarepower, auch das Setting der Französischen Revolution spricht mich schon ein wenig an. Aristokraten, die „schnell, sauber und menschlich“ einen Kopf kürzer gemacht werden, Massenunruhen auf den Straßen von Paris, ein aufstrebender Napoléon Bonaparte und viele weitere historische Persönlichkeiten wie Maximilien de Robespierre warten nur darauf, in die Mischung von Geschichtsschreibung und Fiktion eingewoben zu werden. Assassin’s Creed: Unity liefert mir auch all diese Inhalte, serviert sie mir aber in unfassbar kleinen Häppchen, dass mir leider schon bald jeglicher Appetit vergeht.
Kritik vor, während und nach Veröffentlichung
Bevor ich mich über die Ideenlosigkeit der Verantwortlichen bei Ubisoft aufrege, sollten wir an dieser Stelle erst einmal in das Jahr 2014 zurückspringen. Bildschirmaufnahmen des sich zu diesem Zeitpunkt noch mehrere Monate in der Entwicklung befindlichen Assassin’s Creed: Unity wurden bereits im März Jason Schreier, Redakteur des Online-Magazins Kotaku, zugespielt, der in seinem journalistischen Eifer natürlich die Gelegenheit am Schopfe griff und die Informationen der Öffentlichkeit preisgab. Ein kleiner Teaser folgte daraufhin von Ubisoft, bis wenige Wochen später das eigentliche Spiel erstmals der breiten Öffentlichkeit präsentiert wurde. Das Setting kam offenbar gut an und das Spiel näherte sich inhaltlich respektive zeitlich weiter der Gegenwart an, was bis dahin in so gut wie jedem Serienteil der Fall gewesen ist. Als das Spiel im November erschien, sah sich Ubisoft von allen Seiten von Kritik ausgesetzt. Fachjournalisten regten sich über die mangelhafte Technik, unter der selbst die PC-Fassung auf leistungsstarken Systemen litt, auf. Besorgte Fans zeigten sich hingegen entrüstet, dass es keine weiblichen Spielfiguren im Mehrspielermodus gibt. Ubisoft reagierte prompt und redete sich aus den eigens genässten Fettnäpfen heraus, in welche der Konzern wenig später von ehemaligen Mitarbeitern wie Jonathan Cooper wieder hineingeschubst wurde.
Fehlende Erinnerungen an die Berichterstattung
Videospielentwicklung ist demnach irgendwie ein schmutziges Geschäft. Wie ich persönlich die Zeit vor und nach dem Release damals wahrgenommen habe, weiß ich wiederum gar nicht mehr so genau. Mir fällt tatsächlich nur noch das Cover irgendeines Videospielmagazins ein, dass den Titel tatsächlich mit „Assassin’s Creed 5“ beworben hat. Auf so etwas reagiere ich ja empfindlich, wenn die vorherigen Teile doch zumindest eine römische Ziffer im Titel hatten. Dass das bei anderen Videospielreihen wie Gothic aber tatsächlich offiziell so gemacht wurde, klammern wir an dieser Stelle einfach mal aus! Da ich zum damaligen Zeitpunkt kaum einen Serienteil angerührt hatte, verfolgte ich die Berichterstattung auch gar nicht mehr so akribisch. Dies dürfte zu einem gewissen Teil auch daran gelegen haben, dass selbst der damals größte Assassin’s-Creed-Fan aus meinem Freundeskreis kein Interesse mehr an der Reihe hatte. Erst vor Kurzem hat er mir noch gebeichtet, dass Assassin’s Creed: Unity der erste Serienteil war, den er gar nicht mehr angerührt hatte. Gekauft habe ich mir das Spiel tatsächlich Ende 2015 schon für die PlayStation 4, wie ich in meinen digitalen Rechnungen aus dem Land am Amazonas soeben nachgesehen habe. Dies sei euch mal ein Begriff: Das Spiel versauerte fast ein ganzes Jahrzehnt im Regal, bevor ich es aus dem Plastikfoliensarg befreite!
Verlagerte Rachegeschichte
Kommen wir nun aber mal zum Eingemachten: Anfang 2025 habe ich mich endlich an Assassin’s Creed: Unity gewagt. Nach einer kurzen Sequenz im Mittelalter, die für das weitere Spiel nur rudimentär von Belang sein wird, ist der Beginn des auf etliche Stunden ausgelegten Abenteuers in meinen Augen packend inszeniert, denn ich schlüpfe in die Rolle von Arno Victor Dorian, der als Kind seinen Vater verliert. So entspricht der Auftakt im Grunde dem Ende von Assassin’s Creed: Rogue, denn dort ließ ich in den Gängen von Schloss Versailles als Shay Patrick Cormac das Leben aus Arnos Vater Charles weichen – nur wusste ich das vor ein paar Monaten noch nicht. Dieser Moment wird mir also lange in Erinnerung bleiben. Natürlich ist Rache Arno in seinem zarten Alter noch ein Fremdwort. Gut, Rache muss wachsen – die kann ich auch zehn Jahre später nehmen. Stattdessen wird Arno prompt vom Templer François de la Serre adoptiert. Im Erwachsenenalter findet aber überraschend keine Diskussion mehr über Charles Dorians Tod statt, was mich wirklich sehr enttäuscht, da die Verbindung zu Assassin’s Creed: Rogue dadurch jegliche Wirkungskraft verliert. Nicht einmal das Schicksal von Shay ist Ubisoft eine Randnotiz wert. Zumindest bin ich über keine gestolpert. Stattdessen ermordet ein Unbekannter Monsieur de la Serre – und zufälligerweise bin ich mit meiner Spielfigur am Tatort. Also geht es in Ketten gelegt erst einmal ab in die Bastille.
Erzählkunst auf dem Abstellgleis
Bis zu diesem Zeitpunkt berührt mich die Geschichte von Assassin’s Creed: Unity sogar teilweise. Allerdings verliert sie jegliche Zugkraft, indem ich nach der Flucht aus dem Gefängnis mit den Assassinen Freundschaft schließe, die nicht wirklich über ihre Ziele sprechen, und mich noch dazu instrumentalisieren, gegen die Templer vorzugehen, deren Ziele ebenso nebulös sind. In all diesen Wirren taucht auch noch François’ Tochter Élise de la Serre auf, die in gewisser Weise das Love Interest von Arno ist. Es entbrennt eine Romanze, die aber nicht von langer Dauer ist. Lasst es mich bitte einmal so formulieren: Die Autoren bei Ubisoft haben in meinen Augen keine große Lust, ihren Job zu behalten, oder werden offenbar nicht gut genug bezahlt, um auch eine vernünftige Handlung zu schreiben. Weder können mich die Mysterien der Assassinen und Templer hinterm Ofen hervorlocken, noch ist die Rachegeschichte originell geschrieben. Von der fehlenden Qualität der Liebesgeschichte zwischen Arno und Élise möchte ich gar nicht erst anfangen. Versteht mich nicht falsch: Ich sehe durchaus Potenzial in der Erzählkunst von Assassin’s Creed: Unity, aber wenn Fristen nicht eingehalten werden können und es offenbar bereits bei früheren Serienteilen gravierende Probleme in puncto Storytelling gab, denn hätte Ubisoft unter allen Umständen die Autoren austauschen müssen!
Logiklücken
Ein weiteres Problem des Action-Adventures ist einmal mehr die offene Spielwelt. Ich finde es gut, dass Ubisoft die Spielwelt mit Versailles und Paris auf nur zwei Städte begrenzt hat. Das ist deutlich übersichtlicher und die Städte sind zudem mit reichlich Leben gefüllt, da die damals neue Hardware hunderte digitale Menschen gleichzeitig darstellen kann. Aus offenen Spielwelten hole ich zudem so viel raus wie mir möglich ist, was bei Spielen aus dem Hause Ubisoft aber darauf hinausläuft, dass ich etlichen Sammelkram aufklauben muss. Assassin’s Creed: Unity zwingt mich, das muss ich dem Titel lassen, an keiner Stelle dazu, jede Truhe zu öffnen, jedes Rätsel zu lösen, jeden Mord als eine Art Hobbydetektiv aufzuklären oder jedes noch so unscheinbare Collectible aufzuklauben. Diese Art der Beschäftigungstherapie hilft allerdings dabei, die Zeit verstreichen zu lassen, denn nebenher verdiene ich durch mein Café auch automatisch Geld. Dass das mit dem Pariser Geheimversteck verbundene Café mir auch im letzten Viertel des Spiels gehört und ordentlich Geld abwirft, obwohl die Assassinen mich aus ihren Reihen verbannen, ist eine dieser Logiklücken, die sich mir nicht erschließen. Die kostenfreie Download-Erweiterung Dead Kings führt mich Jahre später nach Saint-Denis, wo ich weiterhin als Assassine arbeite, ohne überhaupt noch eine Anstellung zu haben. Hä?
(Un)nötige Verschnaufpause
Lasst mich noch einmal auf die offene Spielwelt zurückkommen, denn ich befürchte, dass ich gerade ein wenig abgeschweift bin. Bei manchen Spielen, die mit unnötigen Inhalten vollgestopft sind, passiert das eben leicht, dass ich den Überblick verliere. Tatsächlich habe ich Assassin’s Creed: Unity gerade deshalb nach meiner Ankunft in Paris erst einmal unterbrechen müssen. Ein Blick auf die Übersichtskarte offenbart jedem Schlimmes, der auch nur flüchtig einen Blick darauf wirft. Mit hunderten Symbolen vollgekleistert hat sich Ubisoft hier selbst übertroffen. Schon bei den Vorgängern empfand ich diese schiere Anzahl an Sammelkram als Provokation, Ubisoft die Spiele ohne Schutzumschlag, ohne Absender und unfrankiert nach Düsseldorf zur Entsorgung zu schicken. Bei Assassin’s Creed: Unity hat es mich fast zwei Monate Überwindungszeit gekostet, dem nicht nachzugehen – und dem Spiel eine weitere Chance zu geben. Anfang März 2025 habe ich mir endlich einen Ruck geben können, damit ich diese Kolumnenreihe zu eurem Leidwesen nicht abbrechen muss. Zudem ist Ende des Monats auch Assassin’s Creed: Shadows mit Japan-Setting erschienen, auf das ich hinarbeiten will. Ubisoft macht es mir aber nicht gerade leicht, die Videospielreihe zu mögen, wenn der Konzern alles dafür tut, die ohnehin ganz schön heftigen Defizite noch zu verschlimmbessern.
Mann! Mann! Mann!
Letzteres kann ich auch über die Steuerung sagen. Schon in den vorherigen Episoden habe ich geflucht, wenn Ezio Auditore da Firenze, Ratonhnhaké:ton und Co an Kleinigkeiten beim Rennen und Kraxeln hängen blieben. Assassin’s Creed: Unity will dem entgegenwirken, indem ein Aktionsknopf fürs Hoch- und einer fürs Herunterklettern genutzt wird. Das funktioniert nach mittellanger Eingewöhnungszeit tatsächlich ganz gut. Hinzu kommt ein Knopf, den ich gedrückt halten soll, wenn ich durch Fenster in ein Haus einsteigen will. Na ja, das klappt vielleicht in zwei bis drei von zehn Fällen. Durch mehr Häuser rennen beziehungsweise abkürzen zu können, ist aber eine gute Sache und spielt der offenen Welt in die Hände. Kommt es zu Konflikten mit Banditen und Gardisten, verstehe ich aber die Welt nicht mehr. Arno fehlen wichtige Skills seiner Vorgänger. Manches kann ich durch Fähigkeitspunkte erlernen, doch die Kämpfe bleiben so langwierige Angelegenheiten. Übermächtig mit der versteckten Klinge im Nebel der Rauchbomben zehn Feinde hintereinander ausschalten geht nicht mehr. Auch dass sich der Schwierigkeitsgrad bei kooperativen Missionen nicht nach unten reguliert, wenn ich diese alleine spiele, ist eine Frechheit. Stellt euch mal vor, wie Harald Glöckler kräftig auf den Tisch haut und „Mann!“ brüllt. Genau so erging es mir, als ich bemerkte, dass die Gegenwartsgeschichte auf zwei belanglose Monologe heruntergebrochen wurde. So bleibt zu hoffen, dass Ubisoft aus dieser Kritik zumindest für Assassin’s Creed: Syndicate gelernt hat.
Geschrieben von Eric Ebelt