Mit The Holdovers – Fröhliches Unbehagen gelang es Regisseur Constantine Alexander Payne im Jahr 2023 einen Weihnachtsfilm als Dramödie im Rahmen einer zwischenmenschlichen Beziehung zwischen Lehrer und Schüler zu verkaufen und das Publikum zu überzeugen.
Weihnachtsfilmen wird gerne mal der Kunststatus abgesprochen. Zumindest in ihrer Wertigkeit mag dies auch bis zu einem gewissen Grad stimmen, sind sie doch häufig zu kitschig oder gar idealisiert. Gelegentlich tauchen am Filmhorizont Werke auf, die Weihnachten auf ihre eigene Art und Weise präsentieren, mit den Erwartungen der Zuschauer spielen, die Erwartungen daraufhin kurzerhand zertrümmern und ein eigenes Bild mitfühlender Situationen für die Charaktere der Handlung schaffen. Einer dieser Filme ist zweifelsohne The Holdovers von Alexander Payne, der zur Weihnachtszeit spielt und ein ungleiches Trio vor die kleinen Herausforderungen des Lebens stellt. Die Dramödie lässt den Zuschauer auf eine Zeitreise ins Jahr 1970 gehen. Erzählt wird allen voran die Geschichte des Schülers Angus Tully, der an der internatartigen Barton Academy in Neuengland nur darauf wartet, dass die Weihnachtsferien beginnen und er zu seiner Mutter und seinem Stiefvater nach Hause eilen kann. Kurz vor seiner Abreise erfährt Angus jedoch, dass er zu Hause unerwünscht sei, denn seine frischvermählten Eltern wollen die Zeit lieber in trauter Zweisamkeit verbringen. Angus muss zunächst als einer der wenigen und nur kurz darauf sogar als der einzige Schüler die Feiertage an der Barton Academy verbringen. Unfreiwillige Tragik vermittelt The Holdovers hervorragend!
Zwischen Freude und Trauer
Als Dramödie verzichtet der Film jedoch nicht auf humoristische Elemente, denn als Aufsichtsperson wird dem von Dominic Sessa verkörperten Angus dessen Geschichtslehrer Paul Hunham an die Seite gestellt. Der von Paul Edward Valentine Giamatti gespielte Pädagoge ist in seinem Wesen streng und lässt jeden Schüler spüren, dass er es ja doch nie zu irgendetwas bringen wird. Für den Zuschauer von The Holdovers mag dies sehr wohl amüsant sein, doch an der Barton Academy genießt Mister Hunham einen unzweifelhaften Ruf. Dennoch teilt er in gewisser Weise das Leid seines Schülers, denn auch er muss die Zeit in den Ferien an der Schule totschlagen. Als dritte Person ist die von Da’Vine Joy Randolph gespielte Mary Lamb, Chefköchin in der Kantine, jederzeit im Internat anzutreffen. Während Hunham sich von seinen Mitmenschen weitestgehend isoliert hat, durchlebt Lamb ihren kürzlich ereilten Schicksalsschlag. Ihr Sohn fiel im Vietnamkrieg, sodass Weihnachten 1970 für sie das erste Fest ohne ihren Sohn ist. So erleben die drei Hauptfiguren Weihnachten getrennt von dem, was oder wen sie einst liebten, lernen sich selbst und ihre Weggefährten aber umso besser kennen. Wut und Trauer wechseln sich mit Freude und Menschlichkeit ab. Dem Zuschauer wird ein Lächeln ins Gesicht gezaubert und entlockt ihm womöglich auch die eine oder andere Träne.
Moderner Weihnachtsklassiker
Letzteres liegt womöglich daran, dass die drei Schauspieler von The Holdovers ihre Rollen unfassbar gut spielen. Sessa, der im Film sein Schauspieldebüt im Filmgeschäft feierte, verleiht Angus eine gewisse Unruhe und Leichtlebigkeit. Er steht für die Schwachen ein, muss aber auch mit seiner eigenen Schwäche kämpfen. Randolph verkörpert Lamb hingegen als eine starke Persönlichkeit, die aber früher oder später lernen muss, loszulassen. Giamatti lässt Hunham wiederum wie einen typischen Geschichtslehrer erscheinen, der mit seiner Art arg verletzend sein kann, aber dennoch ein weiches Herz hat – womöglich das einzige Klischee, welches der Film bedient. Inszenatorisch setzt der 133-minütige Film auf eine gedämpfte Farbpalette, sodass der Stil des Jahres 1970 gerade an den Kostümen und den Kulissen wunderbar zur Geltung kommt. Alles wirkt wie aus einem Guss. Hinzu kommt eine weihnachtliche Szenerie mit Lichterketten, kleinen Präsenten am Weihnachtsmorgen und einer weißen Schneelandschaft, die im Internat trotz einsamer Momente ein heimeliges Gefühl aufkommen lässt. Im Großen und Ganzen ist es ein wunderbarer Film, der mit zahlreichen kleinen Momenten begeistert und den Spagat zwischen persönlicher Tragik und heiteren Situationen schafft. The Holdovers ist schon jetzt ein absolut sehenswerter Weihnachtsklassiker!
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit (basierend auf der Blu-ray-Fassung): Weihnachtsfilme haben nicht so einen guten Ruf, wie im Angesicht von Klassikern wie Schöne Bescherung, Kevin allein zu Haus oder Tatsächlich… Liebe zu erwarten wäre. Häufig als zu kitschig, gähnend romantisiert oder quälend idealisiert beschrieben, existieren sie zuhauf und bringen nur selten einen echten Hit hervor, der auch noch in zehn oder zwanzig Jahren relevant ist. The Holdovers von Regisseur Constantine Alexander Payne ist solch ein Titel, der in meinen Augen schon jetzt und zu Recht ein wahrer Weihnachtsklassiker ist. Der Film spielt mit verschiedenen Erwartungen, schlägt aber häufig genug eine andere Richtung ein und überrascht damit den Zuschauer. Hinzu kommt, dass alle drei Hauptfiguren auf ihre Weise lernen müssen, mit Einsamkeit an Weihnachten umzugehen. Als Dramödie bedient sich der Film aber nicht nur tragischen Erlebnissen, sondern versetzt die Charaktere im gleichen Maße in lustige Situationen, die charmant inszeniert sind. Hinzu kommen tolle Kostüme, die an die späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre erinnern. Auch die obligatorische Schneelandschaft von Neuengland tut ihr Übriges, damit sich der Zuschauer richtig heimelig fühlt. Trotz kleinerer Längen gelingt es The Holdovers bis zum Abspann zu überzeugen – und das sicher auch beim zweiten und dritten Male.