Review: Hogwarts Legacy

Im Jahr 2020 bereits angekündigt und ursprünglich für das Jahr 2021 geplant, erschien das von Fans heiß erwartete Hogwarts Legacy erst im Februar 2023. Wir begrüßen diesen Schritt, zeichnet sich im fertigen Produkt eine sehr hohe, wenn auch nicht unantastbare Qualität ab.

Einmal an Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei, zu lernen, Freundschaften zu knüpfen und Abenteuer zu erleben: Durch die sieben Harry-Potter-Romane und ihre Verfilmungen hat sich das wohl jeder schon einmal vorgestellt. Zu behaupten, dass dies in Hogwarts Legacy zum ersten Mal möglich sei, ist aber schlichtweg falsch. Bereits zu Beginn der 2000er-Jahre machten dies bereits die Harry-Potter-Spiele möglich, bei denen vor allem der erste und der zweite Serienteil in den GameCube-Fassungen zu erwähnen sind. Hogwarts Legacy gelingt es durch die technische Entwicklung von zwei Jahrzehnten aber ein noch sehr viel atmosphärischeres Erlebnis auf den Bildschirm zu zaubern. Außerdem haben sich die Entwickler dazu entschieden, nicht auf den Spuren von Harry Potter zu wandeln, sondern das Geschehen ins späte 19. Jahrhundert zur Zeit der Koboldaufstände zu verlagern. Da Technologie ohnehin nur eine untergeordnete Rolle in der Welt der Zauberei spielt, fällt dies aber kaum bis gar nicht auf. Hinzu kommt, dass wir auch keine historische Persönlichkeit aus dem Harry-Potter-Universum mimen, sondern uns zu Beginn des Spiels in einem umfangreichen Editor unseren Nachwuchszauberer respektive unsere Nachwuchshexe oder einen diversen Charakter erstellen können. Die Spielfigur erhält die Schuleinladung ganze vier Jahre zu spät.

Magische Spielwelt mit Grenzen

Warum das so ist, wird im Spiel zwar angerissen, aber nicht tiefgründig genug erläutert. Das ist aber auch nicht schlimm, denn nachdem wir zusammen mit Professor Eleazar Fig einen kleinen Umweg durch eine zerfallene Ruine und die Bank Gringotts gemacht, einen Drachenangriff überstanden und in Hogwarts den sprechenden Hut aufgesetzt bekommen haben, der uns prompt in einem der vier Schulhäuser untergebracht hat, dreht sich ohnehin sehr viel mehr Zeit der Story um Ranrok, dem Anführer der Koboldrebellion, die es aufzuhalten gilt. In dieser Disziplin ist Hogwarts Legacy gut und vor allem verzahnt geschrieben, denn viele der wichtigsten Hauptstorystränge greifen ineinander. So gehört die Suche nach Artefakten und Relikten genauso dazu, wie Geheimnisse in und um Hogwarts herum. Allerdings macht das Spiel zu wenig aus der Spielwelt und der Epoche. Dass Kobolde unterdrückt werden, wird einfach so hingenommen und zu wenig hinterfragt. Natürlich muss einem das Spiel jetzt nicht zwangsweise einen Moralkompass vorhalten, aber ein wenig mehr Dreidimensionalität wäre hier und da nicht verkehrt gewesen. Auch dass nahezu alle Schüler von Hogwarts unglaublich freundlich uns gegenüber sind und sich recht naiv verhalten, lässt die Illusion von der Zauberei nach ein paar Spielstunden bröckeln. Daran ist aber auch ein wenig das Gameplay schuld.

Vertrautheitsgefühl

Dies soll bitte nicht falsch verstanden werden. Vor allem zu Beginn ist Hogwarts Legacy ein Spiel, das einem als Fan der Buch- und Filmvorlagen regelrecht mit seiner Atmosphäre zerquetschen will. Wir nehmen am Unterricht teil, auch wenn sich dies meist nur auf sehr kurze Dialoge oder gar Videosequenzen beschränkt, und lernen von unseren Lehrern die allerwichtigsten Zaubersprüche. Mit diesen öffnet sich nach und nach die Spielwelt. Es macht Spaß, das Schloss zu erkunden und mit neuen Fähigkeiten plötzlich bisher verschlossene Areale erreichen zu können. Genau diese The-Legend-of-Zelda-Vibes haben auch Harry Potter und der Stein der Weisen und Harry Potter und die Kammer des Schreckens auf dem GameCube so herausragend gemacht – wohlgemerkt in einer Zeit, in der Lizenzspiele vorschnell als der letzte Rotz abgetan wurden. Solange wir uns nur in Hogwarts aufhalten, vielleicht auch noch das Zaubererdorf Hogsmeade erkunden oder uns in den Verbotenen Wald wagen, gelingt es dem Spiel mit seiner Präsentation zu überzeugen. Sofern ihr die Vorlagen in Form von Buch und Film kennt, kommen euch viele Orte sofort bekannt vor. Allerdings bietet das Spiel auch eine offene Spielwelt – und genau in dieser Disziplin muss sich der Titel mit den großartigen offenen Welten von Red Dead Redemption II und Immortals: Fenyx Rising messen lassen.

Enttäuschende offene Spielwelt

Machen wir uns nichts vor: Die wenigsten Spiele können mit ihrer Open World richtig begeistern. Allerdings versagt Hogwarts Legacy hier auf ganzer Linie, ohne es vielleicht zu wollen. So gibt es überall Prüfungen des Merlins zu bestehen, bei denen sich die unterschiedlichen Aufgaben an einer Hand abzählen lassen können. Auch Schatzgewölbe, in denen wir neue Ausrüstungsgegenstände finden können, sind häufig mit einem Rätsel gekoppelt. Von diesen Aufgaben gibt es einerseits zu viele und andererseits bieten sie unterm Strich viel zu wenig Abwechslung. Auch die verschiedenen Kobold- und Wildererlager bieten kurzweilige Action und Truhen, die es zu plündern gilt. Allerdings kommt hinzu, dass die Ausrüstung, die wir in den Kisten finden können, rein zufällig ist. Mit zunehmender Spielzeit finden wir einfach nur noch Schrott, der unser arg begrenztes Inventar füllt und nur verkauft werden kann. Es wirkt einfach so, als ob die Entwickler das Spiel für Gelegenheitsspieler entwickelt haben, die eben nicht jede Höhle und jede Truhe plündern wollen. Wer aber ständig auf der Suche nach Möglichkeiten ist, um seinen Charakter zu verbessern, wird hier vor den Kopf geschlagen. Zufällige Story-Begegnungen wie in Red Dead Redemption II oder eine Rätselattraktion nach der anderen wie in Immortals: Fenyx Rising bietet Hogwarts Legacy leider nicht.

Künstliche Obergrenze

Auch das Erfahrungspunktesystem des Action-Rollenspiels wird vermutlich nicht jedem Spielertypen gefallen. So gibt es für besiegte Spinnen, Wilderer, Kobolde und Untote nur so lange Erfahrungspunkte, bis die jeweiligen Herausforderungen abgeschlossen sind. Das reicht zwar bis zum Ende des Spiels locker aus und tatsächlich ist die Maximalstufe auch frühestens mit dem Endkampf erreicht, aber wer gerne aufstuft und wirklich alle Talente lernen will, dürfte enttäuscht werden. So störend wie die künstliche Obergrenze von Kingdoms of Amalur: Reckoning fällt dies zwar nicht aus, aber auch hier werden wir schon früh dazu gezwungen, zu selektieren, was wir wirklich brauchen. Zum Glück lassen sich Talentpunkte auch aufsparen, sodass wir erst einmal in Ruhe überlegen können. So müssen wir uns der Frage stellen, ob wir zum Beispiel mehr Nutzen aus gebrauten Tränken ziehen, von Gegnern nicht ganz so leicht entdeckt werden oder Zaubersprüchen Flucheffekte beimischen wollen. Auch wenn nicht alles erlernbar ist, bietet das Spiel in diesem Punkt ausnahmsweise viel Abwechslung. So begleiten wir unsere Spielfigur mit ihrer persönlichen Entwicklung bis zum Abspann, der je nach Spielertyp wohl zwischen 30 und 70 Spielstunden über die Mattscheibe flimmern dürfte. Auf dem Weg dorthin gibt es auch ein paar Punkte, die Hogwarts Legacy wirklich richtig gut macht.

Großartiges Kampfsystem

Vor allem das fantastische Kampfsystem sticht heraus. Es macht unglaublich viel Spaß, den Gegnern Angriffszauber auf den Hals zu hetzen, ihre Schutzschilde zu durchbrechen, ihren Angriffen auszuweichen oder noch besser mit Magie zu kontern und in diesem Flow möglichst keinen Schaden zu nehmen. Hier ist mit zunehmender Spielzeit so vieles möglich. Unter anderem können wir Gegner einfrieren, sie in Brand stecken oder in einen Levitationszustand versetzen und sie dann mit Karacho auf den Boden katapultieren. Herausragend fällt in diesem Bereich die Steuerung auf der PlayStation 5 aus. Mit dem DualSense-Controller führen wir Zaubersprüche mit der hinteren rechten Schultertaste aus, die einen kleinen Widerstand gibt und nicht ganz gedrückt werden muss. Vor allem der Basiszauber, der Standardangriff sozusagen, verleiht uns das Gefühl, tatsächlich einen Zauberstab zu schwingen. Vor allem dann, wenn wir das Spiel mit der offiziellen Homepage vernetzen, auf der wir uns in einem leider nur englischsprachigen Fragenkatalog unseren eigenen Zauberstab zusammensetzen und genau diesen Zauberstab auch im Spiel kaufen können, ist die Immersion einfach enorm. Nur bei der Vibrationsfunktion des Controllers hätten wir uns ein wenig mehr Feingefühl gewünscht, denn bis auf das Kritzeln nach einer Flohpulverreise bietet diese kaum Mehrwert.

Atmosphärischer Soundtrack

Was Steuerung und Erkundungsdrang angeht, so ist das Spiel vor allem für langjährige Fans der Videospielreihe ein Versöhnungsangebot, die mit dem Lizenzschrott von Electronic Arts in Form der letzten beiden Serienteile des Harry-Potter-Franchises nichts mehr mit der Welt des Zaubererlehrlings zu tun haben wollten. Ein neuer Publisher und ein neues Entwicklerstudio machen in diesem Falle Welten aus. Auch grafisch weiß das Spiel zu überzeugen, denn auch wenn Hogwarts an das Schloss aus den Filmen angelehnt ist, hat Entwicklerstudio Avalanche Software es auf seine eigene Art und Weise interpretiert – und zwar mit großem Respekt. Die Texturen sehen knackscharf aus und bis auf ein leichtes Dauerruckeln, das sich früher oder später einschleichen kann, läuft der Titel sehr flüssig. Ebenfalls gefällt uns, dass überall Schüler herumwuseln und Geister durchs Schloss spuken. Da sehen wir gerne darüber hinweg, dass es keine Hauspunkte als Belohung gibt und keine Bestrafung folgt, wenn wir nachts auf den Korridoren herumstreifen oder uns auf ein Butterbier vom Schulgelände stehlen. Zu guter Letzt muss der Soundtrack gelobt werden, denn trotz eigenständiger Melodien enthalten die Stücke hier und da Anspielungen auf die Musik von John Williams, der immerhin für den Soundtrack der ersten drei Harry-Potter-Filme verantwortlich ist – und wenn uns dann am Ende des Schuljahrs eine Träne über die Wange fließt, muss Hogwarts Legacy ja irgendetwas richtig gemacht haben.

Geschrieben von Eric Ebelt

Erics Fazit (basierend auf der PlayStation-5-Fassung): Hogwarts Legacy ist vermutlich eines der Spiele, die mir auch nach dem Jahr 2023 noch lange in Gedächtnis bleiben werden. Entwicklerstudio Avalanche Software ist es gelungen, eine eigenständige Geschichte mit wenigen oder zumindest kaum spürbaren Bezügen zu den Filmen zu etablieren. Deutlich mehr Details im Spiel sind den Romanen entnommen, die ohnehin einen viel größeren Interpretationsspielraum ermöglichen. Wer die Bücher genauestens kennt und mit diesem Wissen einmal probiert, als männlicher Charakter in den Schlafsaal der Mädchen im Gryffindor-Turm zu gelangen, wird definitiv schmunzeln müssen. Auch allgemein können die Haupt- und Nebenfiguren, so naiv und überfreundlich sie meistens sind, dennoch ein heimisches Gefühl erzeugen. Hinzu kommt ein wunderbar gestaltetes Schloss, das musikalisch im Wandel der Jahreszeiten sehr gut unterlegt wird. Ebenso gefällt mir der Erkundungsaspekt im Schloss und auch das Kampfsystem weiß zu überzeugen. Dann kommt jedoch der große Knackpunkt: Im Kern ist Hogwarts Legacy zwar richtig gut, aber das Spiel schleppt sehr viel unnötigen Ballast mit sich. Abseits des Schlosses, des Dorfes Hogsmeade und des Verbotenen Waldes ist die Spielwelt langweilig inszeniert. Es gibt viel zu viel abwechslungsarmen Rätselkram, der schon nach wenigen Spielstunden keine sinnvollen Belohnungen mehr bietet. Am Ende wäre vermutlich weniger deutlich mehr gewesen. Wenn sich die Entwickler dies für einen potenziellen Nachfolger im Hinterkopf behalten, so kann aus einer guten Idee auch eine noch sehr viel bessere Umsetzung in Videospielform werden.

Jonas’ Fazit (basierend auf der PlayStation-5-Fassung): Hogwarts Legacy ist die bisher schönste und auch größte Darstellung des Harry-Potter-Universums in Videospielform. Das Spiel richtet sich mit seinen detailgetreuen Nachbildungen und zahllosen Easter Eggs klar an die Liebhaber der Filme und auch der Bücher. Drumherum haben die Entwickler von Avalanche Software eine sehr vertraute Open-World-Erfahrung gebaut. Hogwarts öffnet sich Stück für Stück für eine motivierende Erkundung, was aufgrund der hohen Detaildichte und den kreativen magischen Ideen im Schloss wirklich Spaß macht. Die Belohnungen sind allerdings eher mau, denn hier warten generische Sammelobjekte und zufallsgenerierte Ausrüstungsgegenstände auf den Spieler. Auch die Handlung und Figuren sind die längste Zeit austauschbar, besonders im Vergleich zur Vorlage. Hier bieten sogar manche Nebenmissionen mehr – auch in Sachen Belohnungen. Die Höhepunkte des Spiels sind eindeutig in Hogwarts zu finden, im weitläufigen Wald- und Wiesenumland findet sich auch eine Menge, allerdings nur Open-World-Stangenware, die spielerisch so spannend ist wie es die generischen Symbole auf der vollgeklatschen Karte schon vermuten lassen. Spinnenverstecke, Banditenlager und Schatzgewölbe dienen höchstens zur Beschäftigungstherapie. Deutlich mehr Spaß macht das freie Fliegen auf dem Besen, das fast überall möglich ist. Auch das Kampfsystem funktioniert in der Regel gut, insofern das Anvisieren und die Belegung der Zauberslots keinen Strich durch die Rechnung machen. Hogwarts Legacy zeigt, was auf Basis der Harry-Potter-Vorlage alles möglich ist. Eine moderne Umsetzung der Vorlage samt Figuren und Handlung könnte Hogwarts Legacy aber leicht übertreffen.

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