Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung musste Publisher und Entwicklerstudio Daedalic Entertainment seitens Presse und Zielpublikum Kritik für das Action-Adventure The Lord of the Rings: Gollum einstecken. Auch das Endprodukt kann uns größtenteils nicht begeistern.
Nintendos Entwicklerlegende Miyamoto Shigeru sagte einst in einem Interview, dass ein verspätetes Spiel gut sein kann, doch ein schlechtes Spiel für immer ein schlechtes Spiel bleiben wird. Hätten die Jungs und Mädels vom deutschen Entwicklerstudio Daedalic Entertainment doch nur auf diese japanische Binsenweisheit gehört, dann wäre The Lord of the Rings: Gollum möglicherweise nicht in einem desaströsen Zustand Ende Mai 2023 erschienen. Nichtsdestotrotz sind wir Fans von John Ronald Reuel Tolkiens Fantasy-Epos Der Herr der Ringe und kommen daher um die Sichtung dieses Action-Adventures nicht herum. Tatsächlich ist auch nicht alles schlecht. Vor allem die Geschichte, ihr innerlich zerrissener Protagonist und die Entscheidungen, die er treffen muss, wissen zu gefallen. Angesiedelt ist das Spiel in den Jahren vor dem Aufbruch der Gemeinschaft, um den Einen Ring zu zerstören. Aufgeteilt ist das Spiel in zehn Kapitel, die sich unserer Meinung nach in zwei Akte unterteilen lassen. So berichtet das Spiel zunächst von Gollums respektive Sméagols Gefangennahme im Schattengebirge und der Inhaftierung in den Verliesen von Saurons Festung Barad-dûr. Anschließend müssen wir mit Gollum unser Dasein in den Hallen des Elbenkönigs Thranduil fristen, bis wir in The Lord of the Rings: Gollum letztendlich dem Düsterwald den Rücken zukehren können.
Bodenständige Story mit Entscheidungsmöglichkeiten
Während des circa fünfzehnstündigen Abenteuers stoßen wir in Mittelerde auf bekannte Figuren wie Saurons Mund oder den Zauberer Gandalf. Ein Großteil der Charaktere wurde jedoch für das Spiel erdacht, die sich auch weitgehend organisch in das Ensemble einreihen. Bei der Geschichte selbst bedienen sich die Entwickler den aus dem Roman bekannten Fakten, nehmen sich aber auch hier ein wenig künstlerische Freiheit. Allerhöchstens zum Ende wirkt die Handlung etwas holprig oder gar wirr erzählt. Wirklich gut gefallen uns die Selbstgespräche zwischen den beiden „Persönlichkeiten“ des Protagonisten von The Lord of the Rings: Gollum. An bestimmten Spielpunkten diskutieren Gollum und Sméagol ihren Standpunkt aus, was kleinere und größere Auswirkungen auf die Story hat. Von Banalitäten bis hin zu Entscheidungen über Leben und Tod ist hier alles dabei. Wer den Rollenspielklassiker The Witcher aus dem Jahr 2007 gespielt hat, dem kommt das Prinzip, dass eine Entscheidung auch erst sehr viel später ins Gewicht fallen kann, durchaus bekannt vor. Zudem ist die Welt nicht in Schwarz und Weiß beziehungsweise Gollum und Sméagol eingeteilt, denn beide Figuren haben eine eigene Weltanschauung, bei der wir abschätzen müssen, welche Konsequenz uns lieber ist. Im Dialog müssen wir unser „Gegenüber“ am Ende mit Argumenten überzeugen.
Gameplay aus der PlayStation-2-Ära
So toll die durchdachte Handlung mit den Entscheidungsmöglichkeiten von The Lord of the Rings: Gollum auch sein mag, so wenig kann das Gameplay überzeugen. Schon in den ersten Spielminuten haben wir das Gefühl, abgesehen vom technischen Grundgerüst, ein Spiel aus der PlayStation-2-Ära zu spielen. In bester Platformer-Manier können wir mit Gollum von einer Ebene zur nächsten springen – und das auch noch sehr unpräzise. Es fehlen wirklich nur in der Luft schwebende Münzen und die Zeitreise in die frühen 2000er-Jahre wäre perfekt. Gollum ist darüber hinaus ein agiler Charakter, mit dem wir uns an Abhängen hochziehen können. Ein wenig abgeguckt haben die Entwickler bei der Uncharted-Reihe, denn wie Nathan Drake und Co kraxeln wir mit Gollum an Wänden hoch. Das wirkt zwar weniger dynamisch und cineastisch wie im großen Vorbild, doch läuft das Klettern recht flüssig und geht wesentlich flotter von der Hand. Blöd nur, dass die Kamera manuell justiert werden muss und dabei nicht immer die beste Perspektive ermöglicht. In manchen Arealen springen wir somit unweigerlich in die Tiefe anstatt zum gedanklich anvisierten Ziel. Je nach Gebiet kann der letzte Kontrollpunkt auch schon mal etwas weiter weg liegen, was beim wiederholten Male ärgerlich ist, vor allem da The Lord of the Rings: Gollums mit einigen Bugs zu kämpfen hat.
Nur ein toter Bug ist ein guter Bug
Bugs können einen zur Weißglut treiben. Das weiß nicht nur das Militär in Starship Troopers, sondern auch jeder, der sich auf das vorliegende Action-Adventure bereits eingelassen hat. In einem Level stürzen wir beispielsweise ab und sterben, woraufhin Gollum zum nächsten Kontrollpunkt zurückgesetzt wird. Anstatt jedoch erneut loslegen zu können, fällt Gollum durch die Level-Architektur und stirbt erneut. Selbst das Neuladen des Spielabschnitts kann diesen Bug nicht ungeschehen machen. Erst wenn wir den Spielabschnitt davor noch einmal komplett durchspielen, tritt der Fehler nicht mehr auf. Tja, fallen wir jedoch in diesem Areal erneut in die Tiefe, kehrt auch der Bug zurück. In späteren Spielabschnitten wird in The Lord of the Rings: Gollum immerhin nur ein etwas kürzerer Dialog oder Monolog abgespielt, was auch nervig sein kann, aber kein Hindernis für die Progression darstellt. Weitere Fehler wie englische statt deutsche Bildschirmtexte oder gar dass eine Zwischensequenz vollständig auf Englisch mit deutschen Untertiteln abläuft, gibt es selbst zwei Monate nach Release noch. Wir fragen uns, ob die Entwickler ihr eigenes Spiel überhaupt einmal Probe gespielt haben, bevor sie es veröffentlichten. Auch durch Spieltester bei der Qualitätssicherung hätten bei Daedalic Entertainment die Alarmglocken klingeln müssen. Für uns ist es schlicht unverständlich.
Stimmungsvolles Adventure
Steuerungstechnisch gibt es in The Lord of the Rings: Gollum ein paar Macken, die über die Ungenauigkeit der angesprochenen Sprung- und Kletterpassagen hinausgehen. Schwimmen und Tauchen fühlen sich hakelig an und in seltenen Fällen wird ein Befehl bei Angabe eines Aktionsknopfs nicht ausgeführt, was je nach Situation Neuladen zur Folge hat. Darüber hinaus fällt auch der eingeblendete Wurfbogen, wenn wir einen Stein schleudern wollen, nicht nachvollziehbar aus. Trotz dieser Unkenrufe müssen wir gestehen, dass wir dafür den Stil des Spiels mögen. Sowohl die Umgebungsgrafiken als auch die Charaktere wirken fast wie aus einem Guss. Nur die Gesichter der Elben scheinen den Untiefen der Hölle zu entstammen. Wenn Gollum seinen Instinkt einsetzt, wirken gerade die Orks so, als würden sie dem Der-Herr-der-Ringe-Zeichentrickfilm von 1978 entstammen. Nette Anspielung! Auf unserem Testrechner (Intel i5 13600K, GeForce RTX 4070, 32 GB DDR5 RAM) läuft das Spiel in Full-HD bis auf ganz seltenes Stottern beim Drehen der Kamera zudem absolut flüssig. Die Musik von Jun Broome passt ebenfalls jederzeit zum Geschehen und erinnert angenehm an ältere Hörspiele. An der deutschen Synchronisation, vor allem bei Protagonist Gollum, ist ebenso nicht zu rütteln. Da fällt auf, dass durchaus Liebe in die Entwicklung von The Lord of the Rings: Gollum floss – die Beziehung hätte nur einige Monate länger halten müssen.
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit (basierend auf der PC-Fassung): Bis heute kann ich nicht verstehen, was Daedalic Entertainment geritten haben muss, ein Spiel mit Gollum in der Hauptrolle entwickeln zu müssen. Gollum! Der vermutlich unsympathischste Charakter in ganz Ea, dem Universum von Tolkiens Welt. Nachdem ich dem Spiel aber eine Chance gegeben habe, bin ich überrascht, wie gut ein Spiel mit Gollum funktioniert – zumindest im Rahmen der Story ist dies der Fall. Die Grundpfeiler der Handlung sind mir bekannt und über die künstlerischen Freiheiten, die mich gerade in der letzten Spielstunde aus der Atmosphäre reißen, sehe ich gerne hinweg. Mir gefallen die Dialoge zwischen Gollum „und“ Sméagol sehr, da sie zumindest für mich spürbare Auswirkungen auf den Handlungsverlauf haben. Trotzdem hätte das Spiel in Form eines Point-and-Click-Adventures deutlich besser als ein Action-Adventure funktioniert, denn die verbauten Mechaniken sind nach heutigen Standards maßlos veraltet, wodurch der Titel wie ein unterdurchschnittlicher Platformer aus der PlayStation-2-Ära wirkt. Unpräzise Sprungeinlagen, eine frickelige Kamerasteuerung und veraltete Level-Strukturen lassen den Eindruck erwecken, als hätten die Entwickler die letzten fünfzehn Jahre vor der Veröffentlichung kaum Videospiele gespielt. Wenn in The Lord of the Rings: Gollum der Abspann läuft, schmerzt mein Fanherz. Ich sehe den herausragenden Ansatz und die Liebe, die Daedalic Entertainment in dieses Spiel stecken wollte – aber auf dem Weg zum Release haben die Entwickler gemerkt, dass diese Beziehung wohl leider nicht von Dauer sein wird.
Vielen Dank an Daedalic Entertainment für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von The Lord of the Rings: Gollum!