Ursprünglich 1995 für das Super Famicom veröffentlicht und in einer erweiterten Fassung zwei Jahre später für den PC und die PlayStation erschienen, gehört das bis Ende Oktober 2024 japanexklusive Clock Tower bis heute zu den Geheimtipps unter Survival-Horror-Fans.
Mit Clock Tower Rewind hat es Herausgeber und Entwicklerstudio WayForward geschafft, einen echten Klassiker außerhalb Japans zu veröffentlichen. Fast drei Jahrzehnte mussten Fans des Horrorgenres auf das Point-and-Click-Adventure warten, bekommen dafür aber direkt eine Lokalisation und einen guten Batzen Bonusinhalte obendrauf. Wer heutzutage an Horrorspiele denkt, dem werden trotz einer großen Varianz vermutlich zunächst die Resident-Evil-Reihe oder vergleichbare Werke in den Sinn kommen. In diesen Spielen ist Waffengewalt die Antwort auf Furcht und Grauen. Dennoch gibt es auch Genrevertreter wie Clock Tower Rewind, in denen der Konflikt nicht ganz so leicht beizulegen ist. In diesem Horrorabenteuer können wir uns unserem Verfolger stellenweise zwar erwehren, doch ist auch in diesem Falle die logische Konsequenz, die Beine in die Hand zu nehmen. Derart hat sich Protagonistin Jennifer ihr neues Zuhause sicherlich nicht vorgestellt. Zusammen mit einer Handvoll anderer Jugendlicher aus dem Waisenhaus soll sie von der Familie Barrows adoptiert werden. Ihre neuen Adoptiveltern lernt sie jedoch nicht kennen, denn plötzlich verschwinden nicht nur die Heimleiterin, sondern auch noch ihre Geschwister. In der Folge tauchen nicht nur Leichen auf, sondern auch ein kleiner böser Mann – mit einer riesigen Heckenschere!
Heckenscherenmassaker
Human Entertainment, das ursprüngliche Entwicklerstudio hinter dem unverfälschten Clock Tower, haben mit dem Scissorman einen Charakter erschaffen, der uns das Blut in den Adern gefrieren lässt. Dieser Gegner, bei dem es sich im Übrigen um den einzigen Widersacher im gesamten Spiel handelt, taucht sowohl an erwartbaren wie unerwartbaren Orten auf. Begegnen wir dem Kerl, sollten wir fliehen und uns verstecken. Gerade wenn wir das Abenteuer zum ersten Mal erleben, sorgt das für einen heftigen Adrenalinstoß, da wir den Aufbau des Anwesens der Barrows noch gar nicht kennen. Jede Suche nach einem Versteck entwickelt sich zum echten Nervenkitzel. Durchaus kann es so passieren, dass wir in einer Sackgasse landen. Erwischt uns der Scherenmann dennoch, haben wir unter der Voraussetzung, über genügend Ausdauer zu verfügen, die Möglichkeit, den Angriff abzuwehren und den Verfolger umzustoßen. Dieser gibt aber erst Ruhe, wenn wir uns beispielsweise in einem Automobil in der Garage oder unter einem Bett in einem der Schlafzimmer verstecken – und unentdeckt bleiben. Clock Tower Rewind beinhaltet neben der originalen Super-Famicom-Fassung auch die erweiterte PlayStation-Version mit dem Untertitel The First Fear. Wählen wir diese, so taucht der Scissorman sogar an zufälligen Orten auf, womit jeder Durchgang frisch bleibt.
Gemächlicher Spielfluss
Obwohl die Super-Famicom- und die PlayStation-Fassung weitgehend inhaltsgleich sind, gibt es dennoch wichtige Unterschiede. Wir raten nicht nur aufgrund des zufälligen Auftauchens des Scissormans zur aktualisierten Version von 1997. Jennifer erholt sich in der Variante für die PlayStation schneller und kann sogar Treppen hinauflaufen. Trotzdem müsst ihr euch an dieser Stelle bewusst sein, dass die Spielgeschwindigkeit in beiden Fassungen recht gering ist. Selbst wenn Jennifer läuft fühlt sich Clock Tower ein wenig behäbig an. Es dauert tatsächlich etwas, bis wir uns an das Tempo gewöhnen. Das liegt vor allem daran, dass das restliche Gameplay nicht dem Survival-Horror-Genre zugeordnet ist, sondern der eingangs erwähnten Point-and-Click-Kategorie. Das heißt, dass wir mit einem Cursor sowohl Nicht-Spieler-Charaktere als auch Objekte anvisieren, mit denen Jennifer interagieren soll. Manchmal finden wir Gegenstände, die wir an vordefinierten Stellen einsetzen müssen. Nur so können wir die Handlung vorantreiben, die im Übrigen in verschiedenen Endsequenzen münden kann. Leider gehört Clock Tower nicht zu den Genrevertretern, dessen Rätsel immer logisch sind, weshalb wir gelegentlich um die Ecke denken müssen. Nicht jeder kommt wohl auf die Idee, ein Wandloch zu vergrößern, indem wir mit einem Stein die Mauer zum Einsturz bringen.
Horror-Adventure mit Retro-Charme
Gewöhnungsbedürftig ist auch die Steuerung. Jennifer lassen wir mit Antippen auf die Schulterasten nach links oder nach rechts laufen und bewegen den Cursor zeitgleich über den Analog-Stick oder das Steuerkreuz. Stoppen müssen wir die Protagonistin über den zugeordneten Aktionsknopf. Insbesondere in den Momenten, in denen wir vor dem Scherenmann fliehen, ist das wirklich hakelig. Es ist nämlich gar nicht so einfach, Jennifer den Befehl zu erteilen, eine bestimmte Tür zu öffnen. Anhalten und Selektieren fressen wertvolle Sekunden. Zum Glück können wir das Spiel jederzeit speichern, wodurch wir Frustmomente reduzieren. Selbiges Wohlfühlprogramm sollte auch die Rückspulfunktion bieten. Diese reicht bedauerlicherweise nur wenige Sekunden zurück und aufgrund der langsamen Spielweise sollte die Zeitspanne eher ein bis zwei Minuten umfassen. So bringt einem das gut gemeinte Feature fast gar nichts. Altersbedingt reißt der Titel keine Bäume aus, bietet aber immerhin flüssige Charaktersprites und ansehnlich modellierte Räumlichkeiten im 16-Bit-Grafikstil. Die Musik bleibt zwar meist ruhig, doch dreht die Klangkulisse in den Schockmomenten ordentlich auf. Im Bonusbereich könnt ihr übrigens jede Melodie in der Jukebox anhören und euch zudem über viele Artworks freuen. Unser Highlight stellt ein 20-minütiges Videointerview mit Regisseur Kōno Hifumi dar, aus dem selbst die allergrößten Fans neues Hintergrundwissen mitnehmen. Fantatisch!
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit (basierend auf der PC-Fassung): Obwohl ich mir eine physische Version des Spiels für die Nintendo Switch vorbestellt habe, kam ich nicht umher, vorab einen Blick auf das Spiel in der PC-Fassung zu werfen. Clock Tower war eines dieser Spiele, die ich mir seit Jahren nachträglich für mein Super Nintendo zulegen wollte – die Rewind-Ausgabe hat das Unterfangen nun überflüssig gemacht. Zudem ist Clock Tower Rewind wohl die definitive Version des Klassikers geworden, da sowohl die Zusatzinhalte aus The First Fear als auch neue Quality-of-Life-Verbesserungen enthalten sind. Das Horror-Adventure begeistert mich vor allem mit der adrenalingeladenen Flucht vor dem Scissorman und dem Suchen eines für mich geeigneten Verstecks. Beim Point-and-Click-Adventure-Part bin ich zweigeteilter Meinung. Auch wenn ich nicht alle Rätsel lösen muss, hätten diese auch schon damals deutlich plausibler ausfallen müssen. Aufgrund der langsamen Spielweise kann es so mitunter vorkommen, dass ich etwas übersehe oder falsch verstehe und dann wieder durch etliche Räume des Barrows-Anwesens irre. Könnt ihr über diese betagten Elemente hinwegsehen, kommt ihr mit Clock Tower Rewind in den Genuss der absolut besten Version des Klassikers, der mit seinem 16-Bit-Charme auch Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung begeistern kann.
Vielen Dank an WayForward für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Clock Tower Rewind!