Special: Twin Peaks – Zwischen Genialität und Wahnsinn

Am 8. April 1990 veränderte sich die Fernsehlandschaft maßgeblich, denn an diesem historischen Tag flimmerte der Pilotfilm der Fernsehserie Twin Peaks über US-amerikanische Mattscheiben. Das Werk zwischen Genialität und Wahnsinn war seiner Zeit dabei weit voraus.

Neue Entwicklungen und Veränderungen werden häufig kritisch beäugt. Konventionen, Traditionen und Bestehendes haben sich etabliert und wurden eventuell sogar als die unumstößliche Wahrheit der auf alle Zeit währenden Sehgewohnheiten in Stein gemeißelt. Etwas Neues stellt zugleich eine Bedrohung für das Bisherige dar. Dies gilt insbesondere für Experimentelles, das in die Fernsehlandschaft eintritt. Dennoch finden solche Versuche immer wieder statt. Es sind Anomalien, die es eigentlich nicht geben dürfte. Nicht immer haben diese auf Anhieb Erfolg, doch hinterlassen sie zumindest eine Spur ihrer Existenz, welche Jahre und Jahrzehnte nachwirkt. Twin Peaks aus dem Jahr 1990 ist eine solche Serie, die am 8. April 1990 auf dem US-amerikanischen Fernsehsender ABC ihre Premiere feierte. Unter dem Arbeitstitel Northwest Passage erschufen David Keith Lynch und Mark Frost das Drehbuch zu einer Fernsehserie, deren Grundgerüst gar nicht so außergewöhnlich ist. Im Grunde handelt es sich bei Twin Peaks um eine Dramaserie, in welcher der Mord an der Schülerin Laura Palmer das Leben der Bewohner der titelgebenden wie fiktiven Kleinstadt auf den Kopf stellt. Noch am selben Tag schickt das Federal Bureau of Investigation den von Kyle Merritt MacLachlan gespielten Agenten Dale Bartholomew Cooper in den pazifischen Nordwesten. Die Ermittlung nimmt ihren Lauf, wird zunehmend verworrener und verknüpft sich mit einer Vielzahl anderer Genres.

Drama, Drama, Drama, Baby!

Dramaserien, die in den frühen 1980er-Jahren vor allem mit Familiensagen wie Falcon Crest oder Der Denver-Clan ihre Hochzeit erlebten, gerieten zum Ende der Ära immer mehr in Verruf. Konfuse Handlungsstränge und unglaubwürdige Auflösungen von Cliffhangern, die mit der ursprünglichen Idee der Werke nichts mehr zu tun hatten, sollten den Zuschauer bei Laune halten respektive Schauspieler und Drehbuchautoren als Arbeitsbeschäftigungsmaßnahmen dienen. Der einstige Glanz verpuffte immer mehr und 1991 war selbst mit dem Genreprimus Dallas zumindest vorerst Schluss. Letztere Serie erhielt in den 1990er-Jahren immerhin noch zwei Fortsetzungen als Fernsehfilme. Zu Beginn der 2010er-Jahre folgten sogar drei weitere Staffeln. Wer mit dem Genre noch Erfolg haben wollte, musste die Ansprüche runterschrauben. Heutzutage werden solche Serien auch eher abwertend als Seifenoper bezeichnet. Twin Peaks wäre eigentlich auch eine solche Seifenoper, doch wichen Lynch und Frost von bestimmten Charakteristiken ab und gaben ihrem Kind eine eigene Identität. Statt überdramatisiertem Schauspiel bis schwachsinnigen Enthüllungen schufen sie verschrobene, einzigartige und leidenschaftliche Charaktere, die innerhalb der mannigfachen Charakterkonstellationen in der Serie eine besondere Dynamik entwickelten und für erinnerungswürdige Dialoge sorgten.

Vielschichtige Charaktere

Agent Cooper sticht dabei deutlich hervor, ist er doch ein intelligenter, mitfühlender und nicht zuletzt pflichtbewusster Sherlock-Holmes-Verschnitt. Mit Scharfsinn und ungewöhnlichen Methoden wie Traumdeutungen versucht er, den Mord an Laura Palmer zu lösen. In der Realität würde kein Beamter im Staatsdienst so an die Lösung eines Falls herangehen, doch bannt sein Ermittlungsstil an den Fernsehbildschirm. Unterstützung erhält er unter anderem von dem nach dem 33. US-Präsidenten getauften Sheriff Harry S. Truman und dem leicht tollpatschigen und emotionalen Deputy Andy Brennan. Nicht weniger wohlgesonnen sind ihm die Kellnerin Shelly Johnson oder Audrey Horne, ihres Zeichens Tochter eines millionenschweren Geschäftsmagnaten. Nahezu jede einzelne Figur ist bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, ist individuell an ihrem Outfit zu erkennen, mit speziellen Handlungsorten verbunden, hat mit eigenen Problemen zu kämpfen, jagt meist unerreichbaren Träumen hinterher und ist nicht zuletzt deshalb in Twin Peaks gefangen. Die psychisch instabile Nadine Hurley setzt zum Beispiel alles daran, Gardinen zu entwerfen, die absolut lautlos sind – möglicherweise um der Welt zu entfliehen oder eine Vorahnung, dass ihr Ehemann eine Affäre hat, zu kompensieren. In Twin Peaks sind die Charaktere vielschichtig, dreidimensional und manchmal auch einfach nicht greifbar. Schließlich muss es nicht immer eine Antwort auf jede einzelne Frage geben.

Phänomen und Fehlentscheidung

1990 entwickelte sich die Fernsehserie regelrecht zu einem Phänomen, stellte sie die Gesetze der amerikanischen Fernsehgewohnheiten auf den Kopf. Wöchentlich zog Twin Peaks daher ein Millionenpublikum an, das nach einer Antwort verlangte, wer denn nun den Tod von Laura Palmer verschuldet hat. Lynch und Frost hatten ursprünglich nie vor, diese Frage zu beantworten. Am liebsten hätten sie die Serie fortgeführt und sie irgendwie enden lassen wollen. In Folge dessen, dass ABC nach den ersten acht Episoden grünes Licht für eine zweite Staffel mit gleich 22 weiteren Folgen gegeben hat, mussten sie jedoch auf Drängen der Fernsehsendeanstalt auch den Täter enthüllen. Dies gilt auch Jahrzehnte nach dem Geständnis des Mörders mitten in der zweiten Season als eine der größten Fehlentscheidungen, denn danach fehlte schlicht der Grund, warum der Zuschauer überhaupt noch wöchentlich einschalten sollte. Stattdessen verlagerte sich das Geschehen auf übernatürliche Ereignisse, die zwar am Rande mit dem Mord zusammenhängen, aber eigentlich ein eigenständiges Mysterium bilden. Auch ein Rivale des Protagonisten taucht in Twin Peaks auf – und verknüpft den Handlungsstrang mit der Story des Übernatürlichen. Damit wurde die Serie nicht nur zum Opfer jener Entwicklung, der aus dem Weg gegangen werden sollte – sie endete zudem auch überraschend offen.

Wahnsinn überschattet Genialität

Ein Jahr später konnte Lynch mit Twin Peaks – Der Film immerhin noch die Vorgeschichte erzählen, sprich die letzten sieben Tage im Leben der Laura Palmer filmisch darstellen. Dieser Film fungiert zwar als Prequel, ergibt aber aufgrund der massiven Spoiler und vielleicht sogar Plotholes nur Sinn, wenn der Zuschauer auch die Serie kennt. Der Erfolg blieb entsprechend aus und die Akte Twin Peaks wurde für ein Vierteljahrhundert versiegelt. 2017 folgte tatsächlich noch eine dritte Staffel, für die sogar Lynch persönlich auf dem Regiestuhl Platz nahm und ein Großteil der Originaldarsteller ans Set zurückholte. Ob die dritte Staffel, die deutlich über das ursprünglich gedachte Universum hinausgeht, etliche neue Charaktere einführte und abermals mit einem Cliffhanger endete, wirklich nötig war, ist fraglich. Auch die dritte Season bietet viele unverwechselbare Momente. Wenn Douglas „Dougie“ Jones im Kasino „nach Hilfe ruft“ und einen Glücksspielautomaten nach dem anderen knackt, ist das unfassbar komisch und zeigt, das auch in halbwegs alltäglichen Situationen eine Prise Genialität liegt. Zu viele Nebenhandlungsstränge, die teils unbefriedigt enden, grenzen an Wahnsinn. Ebenso dass Twin Peaks kaum noch als Handlungsort dient, nimmt dem Spektakel seinen Reiz – und dennoch hat die Serie seit jeher unumstritten starken Einfluss auf die Populärkultur genommen.

Weitreichender Einfluss

Ganze Abhandlungen könnten über den Einfluss von Twin Peaks auf die Populärkultur verfasst werden. Es reicht schon aus, eine Stadt in den Mittelpunkt des Geschehens zustellen wie es zum Beispiel im Spielfilm Fargo – Blutiger Schnee beziehungsweise dessen Serienadaption oder gleich in der an Jugendliche gerichteten Fernsehserie Eerie, Indiana der Fall ist. Selbst Eureka – Die geheime Stadt ist nicht vor einem gewissen Einfluss gefeit. Darüber hinaus ist in diesen Werken hier und da der merkwürdige wie mitreißende Grundton zu spüren, der unvergessen bleibt. Die inhaltlichen Themen kommen hingegen eher in Produktionen wie Desperate Housewives oder Riverdale nicht zu kurz, denn auch hier gaukelt die freundliche Fassade eine heile Welt vor, die aber hinter verschlossenen Türen oft zerbrechlich oder bereits zerbrochen ist. Auch in Videospielen gibt es reichlich visuelle wie inhaltliche Anspielungen. Unter anderem spielt im episodenartigen Alan Wake eine an Twin Peaks angelehnte Szenerie eine bedeutende Rolle und in Deadly Premonition tauchen ähnlich schrullige Charaktere auf. Auch wenn Twin Peaks nie perfekt war und es nach dem Tod von David Lynch am 16. Januar 2025 nie sein wird, steckt die Serie trotz regelrecht wahnsinniger Ideen an vielen Stellen voller Genialität, welche den Verstand und den guten Geschmack des Zuschauers auf die Probe stellt.

Geschrieben von Eric Ebelt

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