Review: Anno 1800

Mit Anno 2070 und Anno 2250 spaltete Entwicklerstudio Blue Byte die Fangemeinde. Entweder mochte ein Spieler die futuristischen Szenarien oder er vermisste zu sehr die historischen Ableger der Reihe. Mit Anno 1800 wird sich wieder der Vergangenheit zugewendet.

Obwohl sich die meisten Anno-Fans nach Abschluss der Kampagne sowieso nur noch dem Endlosspiel zuwenden, haben sich die Entwickler gedacht, dieses Mal beide Modi miteinander zu verknüpfen. So darf zu Beginn des auf dutzende Stunden angelegten Aufbauspiels eingestellt werden, ob während des Siedelns eine Hintergrundgeschichte abläuft oder eben nicht. Sonderlich spannend ist die Handlung von Anno 1800 aber ohnehin nicht: In der Rolle eines nicht näher definierten Kindes eines verstorbenen Adligen muss der Spieler den Ruf der eigenen Familie wiederherstellen. Unterstützung erhält er dabei von seiner Schwester und einem guten Freund. Was nach dem Auftakt einer recht vielversprechenden Story in einem Point-and-Click-Adventures klingt, passt leider nicht wirklich zum Gameplay von Anno 1800. Hauptsächlich geht es darum, Inseln zu besiedeln, verschiedene Warenketten aufzustellen, mit anderen Siedlungen Handel zu betreiben und mit dem angehäuften Vermögen das eigene Reich zu vergrößern. Da ist kaum bis gar kein Platz für die aufgesetzt wirkende Handlung, die sich immer und immer wieder in den gleichen Aufgaben verfängt. Zu einem neuen Ort segeln, neue Siedlungen gründen und gelegentlich geheime Informationen über den verstorbenen Vater aufdecken. Was sich die Entwickler bei der Story gedacht haben, ist fraglich. Sie ist nicht weiter als nettes Zierwerk. Zum Glück bietet Anno 1800 aber mehr als Albernheiten.

Überarbeitung der Bevölkerungsschichten

Im Kern funktioniert das Spiel immer noch so wie der erste Serienteil aus dem Jahr 1998. Für Serienfans, die mit den letzten beiden Episoden mitsamt ihren Add-ons nichts anfangen konnten, werden sich in Anno 1800 sofort zurechtfinden. Mit der Errichtung eines Kontors ist der Grundstein einer neuen Siedlung schnell gelegt. Es folgt ein Verbindungsweg, an dem Bauernhäuser errichtet werden. Die Bauern sind jedoch nur glücklich, wenn sie Zugang zu einem Marktplatz erhalten. Außerdem benötigen sie Nahrung und Kleidung, damit ihre Grundbedürfnisse gefüllt sind. Erst wenn die Bedürfnisse der Bauern allesamt befriedigt sind, können die Bauern auf die nächste Entwicklungsstufe gebracht werden. Dies sind in Anno 1800 die Arbeiter, die sich nicht mit Feldarbeit vergnügen und stattdessen in den Fabriken arbeiten. Es kommen weitere Bedürfnisse wie Bildung hinzu, sodass es mit ansteigender Spielzeit immer schwieriger beziehungsweise herausfordernder wird, alle Bewohner der Siedlung zufriedenzustellen. Das hat viel mit Management zu tun, ist aber bis auf ein Detail spielend leicht erlernt. In der Theorie ist es zwar möglich, aus Bauern Arbeiter zu machen, doch ist das in der Praxis eine ganz schlechte Idee. Die Entwickler haben mitgedacht, sodass der Spieler stets abschätzen muss, wie viele Arbeiter, Handwerker und Co er tatsächlich benötigt. Wer keine Bauern mehr in seiner Stadt anstellt, wird es bald mit streikenden Arbeitern zu tun bekommen.

Städteplanung leicht gemacht

Da es in früheren Ablegern der Anno-Reihe besonders in den ersten Spielstunden etwas anstrengend sein kann, wenn mal wieder nicht genügend Materialien zum Bau neuer Gebäude wie einer Universität zur Verfügung stehen, hat sich Blue Byte einen besonderen Kniff einfallen lassen. Wer ein neues Gebäude errichten will, kann es schon mal an dem Platz positionieren, an dem es einmal stehen soll. Gebaut wird es dann zwar auch temporär noch nicht, doch sobald alle nötigen Materialien vorhanden sind, kann der Spieler auf Knopfdruck den sofortigen Bau beantragen. So und nicht anders funktioniert das auch bei allen anderen Gebäuden, eine Bauzeit entfällt damit wie gewohnt völlig. Einzig und allein Gebäude wie die Feuerwehr oder eine Polizeistation benötigen nach dem Bau ein bisschen Zeit, bis das Personal geschult ist. So soll verhindert werden, dass das Errichten der entsprechenden Gebäude erst dann stattfindet, wenn Katastrophen – wie ein sich ausbreitendes Feuer oder das Ausbrechen einer Seuche – bereits im vollen Gange sind. Das ist eine wirklich clevere Idee und sorgt dafür, dass die Infrastruktur der Siedlung von Beginn an durchdacht wird. Wer dennoch mal ein Gebäude umpositionieren will, kann die Bauwerke mit gedrückter Maustaste praktischerweise an einen anderen Ort ziehen. Auch das Umpositionieren sorgt dafür, dass bestehendes Personal ein weiteres Mal geschult werden muss. Tricksereien gibt es in Anno 1800 somit also nicht.

Einmal nach Südamerika und zurück

Da auf einer Insel niemals alle Rohstoffe abgebaut werden können und die Fruchtbarkeit von anzubauenden Pflanzen wie Getreide von Eiland zu Eiland variiert, ist es mit ansteigender Spielzeit nötig, auch weitere Inseln zu besiedeln. Von einer Insel, auf der beispielsweise Paprika gut gedeiht, kann dann für ein in der Werft gebautes Schiff eine Handelsroute angelegt werden, die das Produkt zu einer anderen Insel verschifft, wo es schließlich zusammen mit Rindfleisch in einer Konservenfabrik zu Gulasch verarbeitet wird. Überschüssige Waren können zum Verkauf angeboten werden. Im späteren Spielverlauf kommt auch noch eine zweite Inselkarte hinzu, sodass das Spiel das Areal in die alte und die neue Welt aufteilt. Dort gibt es weitere Produkte wie Baumwolle, die in den europäisch angehauchten Gefilden nicht wächst und deshalb über das Meer verschifft werden müssen. Das ist durchaus spannend und sorgt dafür, dass bald viele Schiffe auf dem Ozean unterwegs sind. Obwohl es in Anno 1800 meistens friedlich ist, kann es mitunter auch zu einer Kriegserklärung kommen. Dann kann sich der Spieler mit seinen Kontrahenten wahre Materialschlachten liefern. Mit ein wenig Diplomatie lassen sich die Wogen aber fast immer zumindest teilweise glätten. Ein Waffenstillstand kostet auch verhältnismäßig wenig im Vergleich zu dem, was spätestens ab der dritten bis vierten Spielstunde in die Kassen gespült wird. Hier wäre mehr Balance wünschenswert.

Sehr guter, aber nicht herausragender Serienableger

Das Vertrauen zu den Kontrahenten, die ebenfalls eine Insel nach der anderen erobern, kann auch mit kleinen Zusatzaufgaben verbessert werden. Bei diesen Aufgaben müssen Produkte von einem Ort zum anderen transportiert, Gegner auf hoher See ausgeschaltet oder Geleitschutz gegeben werden. Hier und da lockern diese Missionen das Gameplay zwar ein wenig auf, doch aufgrund der zeitlichen Begrenzung kommen diese Aufgaben oft zu einem unpassenden Moment. Weniger aufdringlich sind hingegen die Aufgaben der Bevölkerung. Diese können optional angenommen werden, sind aber noch abwechslungsarmer als besagte Missionen der Konkurrenten. Hier müssen lediglich Personen im Gewusel auf den Straßen gefunden oder bestimmte Situationen fotografiert werden. Warum die Entwickler diese Wimmelspielaufgaben unbedingt ins Spiel packen mussten, bleibt ein Rätsel. Aus Anno 1800 hätte vor allem aufgrund seines viktorianischen Settings mehr gemacht werden können. So bleibt unterm Strich aber immer noch ein sehr gutes Aufbauspiel, das seinen Vorgängern ebenbürtig ist und nur im Detail hinterher hinkt. Vor allem unter technischen Aspekten kann das Spiel überzeugen, denn selbst auf älteren Mittelklasse-Rechnern läuft das Spiel flüssig und sieht selbst auf mittleren Einstellungen noch gut aus. Serienfans schlagen auch diesmal wieder zu, alle anderen können auch mit Anno 1404 oder gar Anno 1602 problemlos in die Reihe einsteigen.

Geschrieben von Eric Ebelt

Erics Fazit: Durchaus würde ich mich als Serienfan der ersten Stunde bezeichnen. Unzählige Stunden habe ich in Anno 1602 investiert und diese Liebe wurde mit Anno 1701 und Anno 1404 zweimal neu entfacht. Obwohl ich die beiden futuristischen Ableger ausgelassen habe, fühlte sich der Spieleinstieg von Anno 1800 wieder so an, als würde ich einen guten alten Freund wiedersehen. Anno 1800 spielt sich wirklich gut, was vor allem auch an der einen oder anderen Komfortfunktion liegt. Gebäude können auch ohne die vorhandenen Rohstoffe geplant und der Platz reserviert werden und auch der Aufbau der Siedlung, den ich jederzeit anpassen kann, funktioniert hervorragend. Schade ist nur, dass aus unverständlichen Gründen die Kampagne in das Korsett des Endlosspiels gepackt werden musste. Zudem ist die Story alles andere als spannend und die stets sich gleich anfühlenden Nebenmissionen nerven nach spätestens sieben bis acht Stunden aufgrund des Zeitdrucks nur noch. Anno 1800 ist im direkten Vergleich zwar nicht so gut geworden wie vorherige Serienableger, doch bleibt im Kern immer noch ein gutes Spiel mit bekannten Mechaniken, die kinderleicht verinnerlicht sind und dann für dutzende Stunden bei angenehmer Hintergrundmusik unterhalten können.

Vielen Dank an Ubisoft für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Anno 1800!

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