Review: Gran Turismo

Als Entwicklerlegende Yamauchi Kazunori zwischen 1992 und 1997 an der Rennsimulation Gran Turismo für die PlayStation werkelte, ahnte er wohl nicht, wie viele Fortsetzungen folgen würden – und vermutlich noch weniger, dass sich der Stoff für einen dramaturgisch aufgeladenen Film eignen würde.

Manche mögen die Titel der Gran-Turismo-Reihe als Videospiele bezeichnen, andere sehen hingegen waschechte Rennsimulationen in ihnen. Inzwischen bei Gran Turismo 7 auf der PlayStation 5 angelangt, begeistert die Marke von Entwicklerstudio Polyphony Digital auch heute noch Millionen Spieler auf der ganzen Welt. Da ist es kein Wunder, dass der Stoff früher oder später einmal verfilmt werden musste. Gähnende Münder dürften sich bei der Ankündigung gerade bei Filmliebhabern eingestellt haben, stehen die vielen mit Sportwagen, hübschen Damen und übertrieben maskulinen Männern vollgestopften Werke doch eher für seichte Abendunterhaltung. Gran Turismo aus dem Jahr 2023 schlägt glücklicherweise einen anderen Weg ein und verknüpft die Genres Videospielverfilmung und Sportfilm. Darüber hinaus, und das dürfte in Anbetracht der Handlung erstaunlich sein, basiert der Film auf wahren Begebenheiten. Ganz genau an die Realität, vor allem was den abgedeckten Zeitrahmen und die chronologische Abfolge der Ereignisse angeht, hält sich Gran Turismo zwar nicht, doch den beiden Drehbuchautoren Jason Dean Hall und Zachary Jones Baylin ist es mit Fingerspitzengefühl gelungen, die realen Tatsachen einzufangen – und sie mit dramaturgischen Mitteln insoweit auszustaffieren, dass der Zuschauer gerade in der zweiten Hälfte mitfiebert.

Langatmiger Einstieg

Gran Turismo erzählt die Geschichte von Jann Alexander Mardenborough, der mit seinen Eltern und seinem Bruder im walisischen Cardiff lebt. Seit seinem fünften Geburtstag träumt er davon, eines Tages ein professioneller Rennfahrer zu sein. Ratschläge seiner Eltern, Fußball als Sport zu betreiben oder eine Universität zu besuchen, nimmt er nicht an. Überraschend erhält er von Sony Interactive Entertainment, das Unternehmen, dass die Episoden der Gran-Turismo-Reihe veröffentlicht, eine Einladung. Angeblich gehöre er zu den Fahrern mit der schnellsten Zeit auf einer Rennstrecke, weshalb er für ein Turnier ausgewählt wurde, in denen die besten Fahrer des Vereinigten Königreichs gegeneinander antreten. Sollte er aus dem Rennen als Sieger hervorgehen, so würde er die Option bekommen, in der so genannten GT Academy als Nachwuchsfahrer für den echten Rennsport ausgebildet zu werden. Wie es die Handlung des Films verlangt, findet er sich wenig später auf der Rennstrecke des englischen Ortes Silverstone wieder. Dort wird ihm erklärt, was auf ihn zukommt. Bevor er jedoch gegen echte Rennfahrer in echten Rennen antreten kann, muss er sich gegen seine Konkurrenten aus aller Welt durchsetzen. Zugegeben zieht sich gerade dieser Teil des Films etwas in die Länge, aber nach der langen Exposition nimmt die Story mit Höhen und Tiefen Fahrt auf.

Einflüsse von Videospielen

Gerade wer mit Videospielen nichts am Hut hat oder noch nicht einmal selbst Gran Turismo gespielt hat, wird kaum nachvollziehen können, wie gut die Rennsimulation funktioniert und sich mit jedem neuen Ableger weiter verfeinert. Auch wie wichtig solche Rennsimulationen für das reale Training von professionellen Rennfahrern geworden sind, können wohl kaum ohne Vorwissen nachvollzogen werden. Dem Film gelingt es nur bedingt, diese beiden wichtigen Kernaspekte auf den Punkt zu bringen. Gerade dadurch, dass Mardenborough in manchen Szenen auf der Strecke plötzlich die Ideallinie erkennt oder für den Zuschauer unerwartet Anzeigen aus dem Videospiel aufpoppen, wird bei Gran Turismo manchmal der unfreiwillige Eindruck eines Science-Fiction-Films wie Ready Player One erweckt. An einer Stelle setzt sich der Rennwagen, mit dem Mardenborough um die Kurven auf den Rennpisten wie dem Nürburgring flitzt, in seine Bestandteile auseinander. So bekommt vermutlich weniger der durchschnittliche Zuschauer, aber deutlich besser der Vorlagenkenner mit, welche Elemente bei einem Vehikel zusammenspielen. Nichtsdestotrotz, und das ist bei all dem Drama besonders wichtig, gelingt es dem Film unterschwellig und zwischendurch immer mal wieder durchscheinend mitzuteilen, dass die Realität noch einmal anders wie eine Rennsimulation ist.

Herausragende Schauspielkunst

Auf einer schauspielerischen Basis kann der Film weitestgehend überzeugen. Archie Uchena Madekwe kann in seiner Rolle als Mardenborough glänzen, da er zunächst einen zurückhaltenden Teenager verkörpert, der im Handlungsverlauf durch einen tragischen Unfall einen herben Rückschlag erlebt. Madekwe gelingt es, Mardenborough im wahrsten Sinne des Wortes neues Leben einzuhauchen. In einer weiteren Rolle ist der vor allem aus der Fernsehserie Stranger Things bekannte David Kenneth Harbour zu sehen, der in die Haut des ehemaligen Rennfahrers und nun als Mechaniker arbeitenden Jack Salter schlüpft. Im Gegensatz zu Mardenborough handelt es sich bei Salter um eine fiktive Person, die für den Film erdacht wurde. Mit voranschreitender Dauer des 135 Minuten langen Films nimmt er mehr und mehr die Mentorenrolle für Mardenborough ein. Dem Nachwuchsfahrer steht er bei jedem einzelnen Rennen und während und nach dem besagten Unfall zur Seite. Gründer und Direktor der GT Academy, Darren Cox, im Film Danny Moore, wird von Orlando Jonathan Blanchard Copeland Bloom porträtiert, der schon Elb Legolas in Der Herr der Ringe unsterblich machte. Moore nimmt in Gran Turismo eine ambivalente Rolle ein, denn auch wenn er hinter Mardenborough steht, denkt er gerne wie ein Geschäftsmann und ist profitorientiert und stellenweise herzlos.

Solider Sportfilm, aber schwache Interpretation

Kameratechnisch werden in Gran Turismo charakterstarke Aufnahmen von real existierenden Rennstrecken eingefangen. Wenn hier die Rennboliden über den Red-Bull-Ring in Österreich düsen oder sich Kopf-an-Kopf-Rennen in Le Mans liefern, kommt beim Zuschauer ein richtiges Motorsportgefühl auf. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die gelegentlichen Einblendungen der Platzierungen. Auch wenn mit echten Rennwagen gedreht worden ist, kommt ein Film dieser Größe nicht ohne animierte Autos aus. Diese fallen gelegentlich unschön auf und wirken so fast schon wie im Videospiel. Ob das beabsichtigt ist, sei einmal dahingestellt – je nach Anspruch kann es aus der Atmosphäre reißen. 40 Minuten Bonusmaterial geben unter anderem hierzu einen verständlichen Einblick. Unterlegt wird das Drama, je nach Situation, mit ruhigen, adrenalingeladenen oder heroisch wirkenden Klängen. Hin und wieder werden Stücke von Sopransaxophonist Kenneth Gorelick oder der Heavy-Metal-und-Hard-Rock-Band Black Sabbath eingespielt. Diese haben die Aufgabe, die Persönlichkeiten von Mardenborough und Salter auszudrücken und ihre eigenen Momente zu untermalen. Regisseur Neill Blomkamp ist ein solider Sportfilm geglückt. Es ist jedoch bedauerlich, dass die Faszination der Rennsimulation Gran Turismo gerade für Nichtkenner kaum bis gar nicht greifbar bleibt.

Geschrieben von Eric Ebelt

Erics Fazit (basierend auf der Blu-ray-Fassung): Es ist wahrlich eine Schande, dass ich von der echten GT Academy bis heute kaum etwas mitbekommen habe – obwohl ich zumindest ein großer Fan von Gran Turismo 7 bin. Yamauchi Kazunori bin ich unendlich dankbar dafür, eine derart gute Rennsimulation auf die Beine gestellt zu haben. Ähnliches muss wohl auch der echte Jann Alexander Mardenborough denken, der durch die Rennsimulation zu einem professionellen Rennfahrer werden konnte. Dessen Leben wird schließlich auszugsweise in Gran Turismo gezeigt. Auch wenn die Abfolge und die Gewichtigkeit der Ereignisse nicht unbedingt der Realität entsprechen und manche Figuren zu dramaturgischen Zwecken hinzu- oder umgedichtet wurden, kann der abendfüllende Film unterhalten. Es sollte kein Film erwartet werden, der die Faszination der Rennsimulation Gran Turismo auf den Punkt bringt. Gerade Nichtkennern dürfte es schwierig fallen, sich in Mardenborough hineinzuversetzen. Hier haben die Köpfe hinter dem Projekt, an dem als ausführender Produzent auch Yamauchi selbst beteiligt war, wirklich nicht das ganze Potenzial ausgeschöpft. Als mitreißender Sportfilm mit einem gesunden Anteil an Dramaturgie, bei dem also auch viele Emotionen geweckt werden, funktioniert das Werk von Regisseur Neill Blomkamp aber allemal.

Vielen Dank an Plaion Pictures für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Gran Turismo!

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