Im Jahr 2015 legte Entwicklerstudio Dontnod Entertainment mit Life is strange den Grundstein für eine ganze Adventure-Videospielreihe. Eine echte Fortsetzung der Geschehnisse des ersten Serienteils gab es aber nie. Life is strange: Double Exposure ändert dies – allerdings nicht sonderlich gut.
Nach den Geschehnissen des ersten Serienteils hat sich Maxine Caulfield hinaus in die Welt gewagt. Jahre sind seither vergangen. Angekommen ist die Fotografin inzwischen an der fiktiven Caledon-Universität im US-Bundesstaat Vermont. Dort hat sie sich ein neues Leben aufgebaut – ohne ihre Freundin Chloe Elizabeth Price. Über ihren Verbleib entscheiden wir recht früh im Spiel anhand einer der vielen wegweisenden Dialogoptionen. Soll heißen, dass sich die seit 2017 an der Reihe beteiligten Entwickler von Deck Nine aus der Affäre ziehen und keines der möglichen Enden des Seriendebüts als Kanon ansehen. Obwohl wir den fehlenden Mut kritisieren, diesen Schritt zu gehen, so fühlt sich das im Verlauf des auf 13 bis 15 Stunden andauernden Abenteuers niemals falsch an. Es wird laufend Bezug auf die getroffene Entscheidung genommen. Dennoch fehlt uns die Dynamik zwischen den beiden Freundinnen etwas, denn Life is strange: Double Exposure markiert in gewisser Weise einen Neuanfang. Wir lernen neue Figuren kennen, die sowohl liebenswert als auch verabscheuungswürdig in ihren Charaktereigenschaften sein können. Wie sehr wie diese Eigenschaften abseits der fast schon aufgezwungen wirkenden sexuellen Orientierungen der Figuren kennenlernen, steht und fällt mit unseren weitreichenden Entscheidungen, die wir in den fünf Kapiteln treffen.
Holpriger Einstieg in die Story
Erinnern wir uns kurz an Life is strange aus dem Jahr 2015. Maxine erhält die mehr als bloß spannende Fähigkeit, die Zeit in vielen, aber nicht in allen Fällen zurückzuspulen. Über die Jahre hinweg hat sie dieses Talent verloren, da es ihr Leben verkompliziert und sie die Zeit daher nicht mehr manipuliert hat. In Life is strange: Double Exposure erhält sie ihre Fähigkeit von einst zumindest in sehr wenigen Momenten zurück, die jedoch allesamt gescriptet sind. Wir können nicht mehr experimentieren und auf diesem Weg herausfinden, welche Entscheidungen sich für uns wirklich richtig anfühlen. Stattdessen springen wir an vordefinierten Stellen zwischen zwei Zeitlinien hin und her. Dies liegt daran, dass Maxine eine Freundin verliert, die in einer Dimension entsprechend tot ist, jedoch in der anderen noch lebt. So versucht sie herauszufinden, was zu ihrem Ableben geführt hat, um mit Hilfe ihrer eigentlichen Kraft die Tat ungeschehen zu machen. Was grundsätzlich spannend klingt, kann gerade zu Beginn der Geschichte ein wenig verwirrend sein. Letzteres liegt womöglich auch daran, dass die Dialoge hier und da umständlich geschrieben und zum Teil auch die Gesprächsoptionen sehr kryptisch sind. Life is strange: Double Exposure gelingt es damit nicht, dass die Story angenehm voranschreitet. Vor allem die ersten anderthalb Kapitel spielen und lesen sich so sehr, sehr holprig.
Überschaubare, aber schöne Spielwelt
Von Vornherein sollte euch bewusst sein, dass ihr euch auf ein Adventure einlasst, dass sich vor allem über seine Geschichte, Charaktere und Dialoge identifiziert. Rätsel gibt es eigentlich keine und wenn, dann sind sie eher in Gesprächen eingebaut als dass wir aktiv versuchen, in der Spielwelt einen Weg zum nächsten Ziel zu suchen. Tatsächlich fällt die Spielwelt mit der zentralen Caledon-Universität, dem heimeligen Zuhause von Maxine, der gemütlichen Bar Snapping Turtle sowie einer Handvoll weiterer, aber nur kurz zu besuchender Örtlichkeiten ziemlich überschaubar aus. Ebenfalls können wir zwischen den meisten Orten nicht frei wechseln. Life is strange: Double Exposure schubst uns immer genau in die Richtung, in welcher der nächste Stolperstein der linearen Handlung liegt. Im Jahr 2024 sollten Adventures wesentlich weiter sein – und gerade da der erste Serienteil mehr spielerische Freiheiten bietet, ist das in einer Fortsetzung wirklich sehr schade. Dafür können wir uns so viel besser an die Spielwelt gewöhnen, die mit Schnee, Eis und Festtagschmuck eine vorweihnachtliche Stimmung einfängt. Wir wissen sofort, welcher Ort gemeint ist, wenn wir uns aus der Third-Person-Perspektive per pedes zum nächsten Zielort aufmachen müssen. Hier und da laden auch bestimmte Situationen oder Sehenswürdigkeiten zum digitalen Fotografieren ein.
Starker Mittelteil, schwaches Ende
Grafisch kann es Life is strange: Double Exposure mit seinen Vorgängern aufnehmen. So gefällt die leicht comichafte Optik, die auch bei den Figuren auf Gegenliebe stößt. Allerdings fallen die Animationen vor allem bei Nebenfiguren ab. Statisten haben es noch härter getroffen. Immerhin läuft das Spiel auf unserem Testrechner (Intel i5 13600K, GeForce RTX 4070, 32 GB DDR5 RAM) bei maximalen Details in Full-HD durchgehend flüssig. Über alle Zweifel erhaben sind wir bei der Musik, die gut zum Geschehen passt. Lediglich die Einbindung von Songs hätte liebevoller sein können. Am Sounddesign auszusetzen haben wir höchstens etwas bei den Dialogen im Hintergrund oder Maxines Kommentaren. Diese brechen einfach ab, wenn wir uns zu weit von der Stelle bewegen. Nach etwa anderthalb Kapiteln nimmt die Story aber ordentlich an Fahrt auf und überzeugt mit einem starken Mittelteil inklusive toller Cliffhanger. Beides lässt das schmalspurige Gameplay und die Defizite der Spielwelt temporär vergessen. Leider enttäuscht jedoch der offene Schluss der Erzählung. Gerade hier hätten die Auswirkungen unserer Entscheidungen wirklich spürbar sein sollen. Stattdessen endet das Spiel plötzlich und lässt uns über einen Nachfolger sinnieren. Eines der besten Adventures aller Zeiten hätte eine würdigere Fortsetzung verdient als Life is strange: Double Exposure.
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit (basierend auf der PC-Fassung): Völlig unverständlich war und ist für mich der Umstand, dass die Entwickler bei Dontnod nach Life is strange die Geschichte um Maxine Caulfield und Chloe Elizabeth Price nicht fortgeführt haben. Die Story hatte derart viel Potenzial, das die Entwickler bei Deck Nine nun Jahre später in den Sand gesetzt haben. Einerseits ist die Handlung viel zu linear und lässt nur wenig Entscheidungsspielraum. Andererseits ist das Gameplay an so vielen Stellen viel zu schmalspurig. So kann ich beispielsweise kaum entscheiden, zu welchem Ort der Spielwelt ich mich als nächstes begeben möchte und werde auch fast durchweg mit keinem einzigen Rätsel konfrontiert. Das Adventure-Genre bietet so viele Möglichkeiten, welche in Life is strange: Double Exposure aber nicht ausgeschöpft wurden. So sehr mir die verschiedenen Charaktere und sogar die Spielwelt gefallen, so sehr stören mich lose Story-Fäden am Ende. Gerade der extrem gute Mittelteil zeigt doch, zu welchen Leistungen die Autoren imstande sind. Nach all den Jahren Wartezeit auf die richtige Fortsetzung zum Seriendebüt bin ich dann doch leider sehr enttäuscht. Ja, Life is strange: Double Exposure hat einige tolle Momente, doch die sind in Anbetracht des deutlich besseren Seriendebüts und den Genrestandards im Jahr 2024 dann doch einfach zu wenig.
Vielen Dank an Square Enix für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Life is strange: Double Exposure!