Review: Lost Records: Bloom & Rage

Eigentlich gehörten Episodenspiele der Vergangenheit an, doch Lost Records: Bloom & Rage erschien in zwei Hälften im Februar und im April des Jahres 2025. Ein wenig merkwürdig ist dieser Umstand schon, denn in beiden Hälften kommt das Adventure nicht in die Gänge.

Allen voran ist das französische Entwicklerstudio Don’t Nod Entertainment bekannt für das fantastisch erzählte Life is strange aus dem Jahr 2015. Auch das illustre Action-Adventure Remember me von 2013 und das 2018 entstandene Rollenspiel Vampyr gehen auf das Konto der Franzosen. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Entwickler das Erzählhandwerk verstehen. Beim Spielen von Lost Records: Bloom & Rage fällt das anfänglich noch durchdacht wirkende Konstrukt jedoch Stunde für Stunde auseinander. Eine interessante Entscheidung ist die Erzählperspektive, denn zum einen spielt das Adventure in den frühen 2020er-Jahren kurz nach der Covid-19-Pandemie. Zum anderen springt die Story mehrmals zurück in den Sommer des Jahres 1995, in dem die Geschichte hauptsächlich stattfindet. Wir schlüpfen in die Rolle der Teenagerin Swann Holloway, die im US-Bundesstaat Michigan ihre letzten Sommerferien verbringt, da ihre Eltern nach Kanada ziehen. Obwohl sie keine Freunde hat und sich viel zu sehr mit ihrem Camcorder in die Welt vertieft und sich in dieser verliert, schließt sie ausgerechnet in dieser Zeit ihre ersten richtigen Freundschaften. Was zunächst nach einer melancholischen Ausgangslage klingt, entwickelt sich hier und da zu einer charmanten wie humorvollen Coming-of-Age-Parabel, wächst aber nicht über ihre pure Einfachheit hinaus.

Profane Angelegenheiten

Mit Autumn Lockhart, Nora Malakian und Kathryn Mikaelson erlebt Swann in Lost Records: Bloom & Rage fortan kleinere Abenteuer. Unter anderem drehen sie zusammen ein Musikvideo, entdecken eine mysteriöse Hütte im Wald und legen sich mit Kats Schwester Dylan und ihrem fiesen Lover Corey an. Zu Beginn der 2020er-Jahre erhält Autumn jedoch ein Paket mit der Aufschrift, dass ihre Clique sich an den Sommer 1995 zurückerinnern soll. Ein durchaus starker Auftakt, lässt sich der Inhalt des Pakets lange Zeit nicht erraten. Zudem nehmen in der Mitte des Spiels die mysteriösen Ereignisse leicht Überhand und ebnen den Weg für die zweite Spielhälfte. Allerdings werden wir weder mit dem zu künstlichen Cliffhanger in der Mitte des Spiels, noch mit der Fortführung der turbulenten Ereignisse so richtig warm. Die Story dümpelt trotz kleinerer Höhepunkte über weite Strecken vor sich hin. Jene Highlights erzeugen eine derart hohe Erwartungshaltung in uns, dass die Auflösung diese schon gar nicht mehr befriedigen kann. Wer darauf hofft, dass in der fiktiven Kleinstadt Velvet Cove plötzlich Geheimnisse wie in der Fernsehserie Twin Peaks ans Licht kommen, wird womöglich enttäuscht. Trotz weniger übernatürlicher Geschehnisse bleibt die Geschichte von Lost Records: Bloom & Rage bodenständig. Überraschungen und Wendungen sind leider viel zu rar gesät.

Charakterbezogenes Storytelling

In puncto Gameplay handelt es sich beim Spiel um ein typisches Adventure. So laufen wir mit Swann herum, schauen uns verschiedene Objekte an, sacken andere Dinge ein und verwenden sie an vordefinierten Stellen. Letzteres ist allerdings nicht sonderlich tiefgründig. Die Funktion ist eher Mittel zum Zweck und wirkliche Kopfnüsse oder unterschiedliche Verwendungsmaßnahmen gibt es in der Regel nicht. Stattdessen konzentriert sich das Spiel voll und ganz auf seine Story. Soll heißen, dass wir viele Gespräche mit Swanns drei neuen Freundinnen führen. Währenddessen haben wir die Möglichkeit, auch storytechnisch auf diese zu reagieren, was wohl auch der interessanteste Aspekt von  Lost Records: Bloom & Rage sein dürfte. Unsere Entscheidungen haben leichten Einfluss auf weitere Dialogoptionen. An anderer Stelle verändern wir durch unsere Taten kleine Details. Haben wir 1995 beispielsweise den Schlüssel von Autumn nicht durch einen Gullydeckel plumpsen lassen, so besitzt sie ihn auch mehr als zweieinhalb Jahrzehnte später noch. Dementsprechend handelt es sich beim Adventure aus dem Hause Don’t Nod Entertainment allem voran um ein personenbezogenes Abenteuer, das von seinen wenigen Charakteren lebt. Im Laufe des fünfzehnstündigen Spiels wachsen diese aber nur bedingt über sich hinaus. Sympathie und Apathie haben wenig Einfluss auf die Story.

Eingeschränkte Freiheiten

Ein besonderes Gameplay-Element von Lost Records: Bloom & Rage ist hingegen die Verwendung von Swanns Camcorder. Nahezu in jeder Szene, die 1995 angesiedelt ist, können wir die Kamera zücken und Videoaufnahmen des laufenden Geschehens machen. Manche Situationen sind storytechnisch auf Videoband aufzunehmen, während wir andere Motive als Collectibles einfangen. Die Motive können allesamt gesammelt und anschließend zu einer Videosequenz ausgearbeitet werden, in der wir sogar doppelte Einstellungen austauschen können. Der Speicherplatz hierfür ist selbst auf leistungsstarken PCs begrenzt, was ein wenig schade ist. Überflüssige Aufnahmen sollten wir daher am besten direkt löschen. Hauptsächlich handelt es sich bei dem Feature um eine Spielerei, die es so bislang in Videospielen aber kaum gab. Bei einem potenziellen Nachfolger, schließlich endet der Titel mit einer abstrusen Post-Credit-Szene, kann das Feature unserer Meinung nach gerne noch ausgebaut werden. Die Bedienung geht darüber hinaus leicht von der Hand, auch wenn Swann, sogar wenn sie rennt, sich ein wenig eingeschränkt in ihrer Freiheit anfühlt. In den Menüs verzeichnen wir hin und wieder leichte Aussetzer, wenn wir von einem Menüpunkt zum nächsten springen wollen und sich der Cursor nicht bewegt. Abhilfe schafft dann nur das Schließen und Öffnen des Menüs.

Auditive Annehmlichkeiten

Grundsätzlich sieht das Spiel mit seiner Comicgrafik schick aus, wirkt aber wie die Konkurrenz Life is strange: Double Exposure veraltet. Während die Umgebungen gerade in den Wäldern von Michigan schön ausfallen, gehen die hölzernen Gesichtsanimationen und die sperrigen Bewegungsabläufe im Jahr 2025 einfach nicht mehr. Vor allem die finalen Szenen wirken durch Eskalation, Hektik und Dramatik mehr als bloß albern. Hinzu kommt, dass der Titel auf unserem Testrechner (Intel i5 13600K, GeForce RTX 4070, 32 GB DDR5 RAM) bei maximalen Einstellungen in Full-HD manchmal leicht ruckelt. Zwar leidet die Spielbarkeit nicht darunter, doch  in Anbetracht der limitierten Grafik ist dies schon ein wenig verwunderlich. Immerhin gelingt dem Entwicklerteam der große Wurf auf musikalischer Ebene, denn die ausgesuchten Songs passen hervorragend zur Story und geben einen guten Einblick ins Jahr 1995. Auch die Synchronisation auf Englisch oder wahlweise auf Französisch ist gelungen, obwohl es zum Ende hin ein paar Aussetzer gibt. Die deutschen Bildschirmtexte von Verena Wirtenberger sind trotz fehlender deutscher Vertonung gelungen. Nur ab der Spielmitte gibt es vereinzelt immer wieder Stellen, die nicht aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt worden sind. Wer des Englischen nicht mächtig ist, kann in Lost Records: Bloom & Rage aufgrund gleichzeitig ablaufender Gedankengänge, Dialogen zwischen den Freundinnen und der Auswahl an Dialogoptionen – noch dazu unter Zeitdruck –, aber leicht die Krise bekommen.

Geschrieben von Eric Ebelt

Erics Fazit (basierend auf der PC-Fassung): Lost Records: Bloom & Rage ist in meinen Augen im Großen und Ganzen leider ein sehr mittelmäßiges Adventure geworden, worunter auch ein wenig die Veröffentlichungspolitik schuld ist. Das Spiel nimmt viel zu langsam Fahrt auf und dümpelt einige Stunden vor sich, bis endlich mal etwas Interessantes geschieht und die Erzählung kurz darauf mit einem provozierten Cliffhanger vorerst unterbricht. Dem zwei Monate später veröffentlichten Epilog gelingt es dann nicht, die Geschichte zufriedenstellend zu beenden. So wirken die Story austauschbar und die stereotypischen Charaktere nicht sonderlich tiefgründig. Beim Gameplay gibt es zudem keinerlei Herausforderungen und die Entscheidungen, die ich treffen kann, haben nur am Rande Einfluss auf das weitere Geschehen. Es macht zwar Spaß, die kleinen Nuancen beim wiederholten Durchspielen zu entdecken, doch ist mir das persönlich etwas zu anspruchslos. Unverständlich bleibt für mich zu alledem die magere Präsentation. Während ich die Umgebungsgrafiken noch ganz hübsch finde und mich mit auf eine nostalgische Reise in die 1990er-Jahre nehmen, sind Mimik und Gestik viel zu hölzern. Ich kaufe den Figuren meistens nicht ab, dass die Menschen sind. Dafür kann die Musik bei mir wieder punkten, da sie die Stimmung durchgehend gut einfängt. Don’t Nod Entertainment gelingt es nicht, an einstige Erfolge wie dem ersten Life is strange anzuknüpfen. Ob Lost Records: Bloom & Rage etwas für euch ist, hängt also ganz davon ab, wie wichtig euch spielerischer Anspruch oder eine tiefgründige Story ist – beides bietet der Titel nicht.

Vielen Dank an Don’t Nod Entertainment für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Lost Records: Bloom & Rage!

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