Seitdem Anno 1800 im Jahr 2019 erschienen ist, wurde das Aufbauspiel durch etliche Erweiterungen von den Entwicklern gehegt und gepflegt. Trotzdem ist die Zeit reif für einen neuen Serienteil. Anno 117: Pax Romana geht dafür tatsächlich fast zweitausend Jahre zurück
Nachdem die Anno-Reihe seit 1998 gefühlt jedes wichtige Jahrhundert des Entdeckerzeitalters und sogar die nahe wie die ferne Zukunft abgeklappert hat, bleiben zumindest gefühlt nicht mehr viele Epochen übrig, welche die Entwickler noch erobern können. Das römische Reich ist jedoch ein Szenario, das in den letzten Jahrzehnten nur bedingt bedient wurde. Mit Pax Augusta erschien im April 2025 zwar ein vielversprechendes Ein-Mann-Projekt, das sich jedoch eher an Experten richtet, die sich in Details verlieren wollen. Ubisoft bemüht sich mit der eigenen Marke eher darum, eine möglichst große Zielgruppe anzusprechen. Einsteigerfreundlichkeit heißt das Zauberwort! Ganz so niedrig ist die Einstiegshürde in Anno 117: Pax Romana aber nicht, denn wer noch nie einen Serienteil gespielt hat, muss sich erst einmal in das langsam, aber stetig füllende Interface einarbeiten. Wer dieses Hindernis jedoch überwunden hat, findet sich dank leicht verständlicher Verknüpfungen bei Warenketten und Co aber sicherlich schnell zurecht. Es wird in Text- oder Audioform nur wenig im Rahmen der Spielmechanik, sondern mehr an theoretischen Beispielen erklärt. Wer sich auf Anno 117 also einlassen will und keine Kenntnisse der Vorgänger mitbringt, muss ein wenig mehr Zeit investieren. Danach fluppt das motivierende Aufbauspiel aber über zahlreiche Stunden hinweg.
Selektives wie traditionelles Vorgehen
Zu Beginn von Anno 117 entscheiden wir uns zwischen dem Endlosspiel, in dem wir weitgehend frei hantieren dürfen, und der Kampagne. In dieser schlüpfen wir entweder in die Rolle von Marcia Tertia oder Marcus Naukratius. Zwar gibt es erzähltechnische Unterschiede bei der Wahl der Spielfigur, doch bleibt das Gameplay davon weitgehend unberührt. Unser Ziel ist es, eine möglichst florierende Stadt zu errichten, Kriege zu führen und uns um die Bedürfnisse der Bürger zu kümmern. Hier unterscheidet sich der Titel kaum von den Vorgängern, was aber auch gar nicht schlecht sein muss. Es ist motivierend, verschiedene Gebäude wie Holzfäller- oder Fischerhütten oder ganze Produktionsanlagen wie Getreidehöfe zu errichten und sie an das Straßennetz anzuschließen, sodass die Produkte zu Waren verarbeitet werden können. Durch das Erfüllen der Bedürfnisse unserer Bürger steigen unsere Liberti mit der Zeit zu Plebejern, Equites und schließlich Patriziern auf. Haben wir die entsprechenden Rohstoffe gesammelt, können wir einzelne Wohngebäude selektieren und den Stufenaufstieg manuell durchführen. Dabei sollten wir aber immer im Auge behalten, dass gewisse Produktionsstätten auch auf Arbeitskraft aus einer bestimmten sozialen Schicht angewiesen sind. Wir sollten also stets darauf achten, dass wir in Anno 117 passend zur wirtschaftlichen Lage gradieren.
Diagonales Straßensystem
Beim Errichten unserer Siedlungen, die sich quer über eine prozedural generierte Inselwelt erstrecken und per Schiffsrouten verbunden werden können, fällt uns ein Feature ganz besonders auf. Beim Straßenbau sticht nämlich besonders die Möglichkeit ins Auge, diagonale Straßen oder Aquädukte anzulegen. Was wie eine gewöhnliche Funktion klingt, ist in der Anno-Reihe ein Novum. Dadurch wirken die Städte, die wir in Anno 117 errichten, wesentlich organischer als in vorherigen Spielen. Zumindest in der Theorie ist dies der Fall, denn für die meisten Gebäude gibt es leider keine alternativen Bauwerke, die in diese entstandenen Ecken hineinpassen. Am ehesten füllen wir diese Flächen, die sich nicht in das orthogonale Raster anlehnen, mit Anbauflächen für Getreide und Co aus – bloß keinen Platz verschwenden! Wer auf diagonale Straßen weder im mittelitalienischen Latium noch im verregneten Albion keine Lust hat, kann den Haken im Aktionsfenster jederzeit entfernen und genauso klassisch bauen wie in den Vorgängern. Wie aus den jüngsten Serienteilen wie Anno 1800 bekannt, sind die unterschiedlichen Spielgebiete, teils autark und teils voneinander abhängig, per Ladebildschirm voneinander getrennt. Das ist etwas schade, hätte das Geschehen auf einer riesigen Karte dem Franchise neben dem unverbrauchten Setting doch einen neuen Anstrich gegeben.
Hübsche Optik mit Altersschwächen
In audiovisueller Hinsicht ist Anno 117 durchaus beeindruckend. Der leicht comichafte Look passt gut zum Geschehen und ist voller kleiner Details. Zoomen wir in das Geschehen hinein, sehen wir die Bürger Roms überall herumwuseln und ihrem Tagwerk nachgehen. Ebenso gelungen ist die gut sichtbare wie skizzenartige Vorschau, wenn wir ein Gebäude an einer bestimmten Stelle anlegen wollen, uns dazu aber noch die Rohstoffe fehlen. Mangelhaft wirken hingegen die Dialoge mit Nicht-Spieler-Charakteren, die auf maßlos veraltete Mimik und Gestik setzen. Auch dass die Hintergründe nur gezeichnet sind und die Figuren nicht in einer dreidimensionalen Umgebung miteinander interagieren, ist so langweilig inszeniert wie die Story. Sie wird trotz der hübschen Optik einfach nicht spannend genug erzählt und langweilt massiv. Zum Glück trifft dies nicht auf das Gameplay zu, das auf unserem Testrechner (Intel i5 13600K, GeForce RTX 4070, 32 GB DDR5 RAM) auf Ultra-Grafikeinstellungen mit circa dreißig Bildern pro Sekunde in der Full-HD-Auflösung noch recht flüssig läuft. Nur wenn viel gleichzeitig auf dem Bildschirm passiert, ruckelt es. Wir können aber vergewissern, dass das Spiel selbst auf niedrigen Grafikeinstellungen immer noch gut aussieht. Der tolle Soundtrack aus dem Hause Dynamedion sorgt dafür, dass wir bis Stunden in die Nacht die Zeit vergessen.
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit (basierend auf der PC-Fassung): Seitdem ich Ende der 1990er-Jahre mit dem ersten Teil der Anno-Reihe in Berührung gekommen bin, bin ich den überwiegend historisch ausgelegten Aufbauspielen regelrecht verfallen. Da ich dieses Jahr selbst in Rom gewesen bin und seither an Fernweh leide, kommt Anno 117: Pax Romana in den kalten Herbst- und Wintermonaten für mich genau richtig. Es macht abermals sehr viel Spaß, Siedlungen zu errichten und Warenketten zu optimieren. Auch das Führen von Krieg ist funktional, für mich aber kein Garant dafür, dass ich Spaß mit dem Spiel haben kann. Mir geht es eher darum, zu optimieren und die Zeit zu vergessen. Das funktioniert bis zu einem bestimmten Grad, nicht zuletzt aufgrund der tollen Musikuntermalung von Dynamedion, ziemlich gut. Schade finde ich jedoch, dass die Story ziemlich langweilig inszeniert ist und lediglich schmuckes Beiwerk ist. Zum Glück gibt es ja den motivierenden Endlosmodus, in dem ich auf diesen unnötigen Ballast verzichten kann. Am Ende stellt sich mir nur die Frage, wem ich Anno 117 empfehlen soll. Obwohl das römische Reich im Jahr 117 – ach wie passend –, seine größten Ausmaße erreicht hat, ist der Umfang im Spiel zwar groß, aber gemessen an Anno 1800 im aktuellen Zustand noch fernab davon, eine ähnliche Spielerfahrung zu bieten. Wer auf der Suche nach einem Umfangsmonster ist, greift nach wie vor zu Anno 1800. Alle anderen, die nach einem neuen Serienteil lechzen, endlich ins römische Reich in Videospielform zurückkehren wollen oder schlicht erste Erfahrungen mit der Anno-Reihe sammeln wollen, dürfen aber zuschlagen!
Vielen Dank an Ubisoft für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Anno 117: Pax Romana!