Während hierzulande ständig neue chinesische und südkoreanische Filme erscheinen, werden Werke aus Japan sehr viel weniger beachtet. Mit Nokan – Die Kunst des Ausklangs erschien 2008 in Fernost ein Film über Liebe, Familie, Musik und zu guter Letzt das Tabuthema Tod.
Die Geschichte des Films handelt vom Cellisten Kobayashi Daigo. Sein lang gehegter Traum, Teil eines anerkannten Orchesters zu werden, ist endlich in Erfüllung gegangen. Dafür hat er sogar einen Kredit für ein teures Cello aufgenommen. Allerdings verliert Daigo seine Anstellung, als das Orchester schon kurz darauf aufgelöst wird. Um die hohen Mieten in Tōkyō zu umgehen, beschließen er und seine Frau Mika in Daigos alte Heimat zu ziehen. Hier versuchen sie in seinem Elternhaus einen Neustart zu wagen. Während Mika die Möglichkeit hat, freiberuflich arbeiten zu können, sieht sich Daigo gezwungen, eine Festanstellung zu suchen. Er wird in der Zeitung prompt fündig und vereinbart ein Bewerbungsgespräch bei einem vermeintlichen Reisebüro. Allerdings erfährt Daigo erst vor Ort, dass es sich hierbei um ein Unternehmen handelt, welches die Menschen auf ihrer letzten Reise begleitet. Da Berufe, die etwa mit Tod zu tun haben, in Japan gemeinhin als „unrein“ gelten, möchte Daigo einen Beruf in der Branche tunlichst vermeiden. Als sein künftiger Arbeitgeber Sasaki Shōei ihm jedoch ein großzügiges Angebot macht, das seine Gehaltsvorstellungen übertrifft, willigt er ein. Die Handlung des Films zieht sich über mehrere Monate, in der Daigo von seinem Chef angelernt wird. Zudem muss Daigo versuchen, seinen neuen Beruf vor seiner Frau geheimzuhalten.
Aufgaben eines Nōkanshi
Der deutsche Titel wird für einen Japaner irreführend sein, da die Transkription einen völlig falschen sprachlichen Zusammenhang übermittelt, der an dieser Stelle nicht thematisiert werden muss. Mit dem Filmtitel ist in Wahrheit der Begriff Nōkan gemeint, den man unter anderem oder vielleicht sogar am besten als Einsargung übersetzen kann. Ausgeführt wird die Einsargung von einem Nōkanshi, wenn heutzutage auch nur noch in etwa einem Fünftel aller Fälle. Das Arbeitsspektrum des Berufs legt den Schluss nahe, dass ein Nōkanshi wohl mit dem hierzulande als solchen bezeichneten Bestatter und möglicherweise gar dem Totengräber gleichzusetzen sei. Das ist so definitiv nicht korrekt und das sagt und zeigt der Film in mehreren Szenen in Form der Tagesabläufe der Charaktere und Dialogen deutlich. Nōkanshi sind viel mehr Leichenwäscher und sind dem in Deutschland fast schon gänzlich ausgestorbenen Beruf des Heimbürgen nicht unähnlich. Die Vorbereitung auf die letzte Reise haben Nōkanshi im Lauf der japanischen Geschichte durchorganisiert und ritualisiert. Diese aufwendig und sorgfältig durchgeführte Zeremonie zeigt Hauptdarsteller Motoki Masahiro im Film sehr deutlich anhand gewissenhafter Bewegungen. Das liegt daran, dass er die Aufgaben eines Leichenwäschers von einem echten Nōkanshi in Vorbereitung auf den Filmdreh erlernt hat.
Gesellschaftskritischer Film
Die andere Seite des Rituals wird im Film nicht vernachlässigt. Regisseur Takita Yōjirō hat vorbereitend auf den Filmdreh solche Zeremonien besucht, um die Gefühle der Hinterbliebenen noch besser nachvollziehen und im Film verarbeiten zu können. Ebenso wird reichlich der Konflikt zwischen Daigo und seiner Frau, seinen Freunden und seinen Bekannten geschildert. Obwohl man meinen könnte, dass diese Aufgabe ehrenwert sei, wird sie in Japan überwiegend nicht geschätzt. Das gesellschaftskritische Phänomen ist und bleibt integraler Bestandteil des Films, der mit vielen Drama-Elementen ausgeschmückt und einem unglaublich gut passenden Humor unterstrichen wird. Dazu kommt, dass die Glaubwürdigkeit des Films mit einem Feingefühl bei der Auswahl für die richtigen Darsteller abgerundet wird. Obwohl der Film bereits 2008 in Japan erschienen ist, mussten deutsche Zuschauer bis 2009 auf eine der raren Vorstellungen in Kinos oder sogar bis 2010 auf die DVD-Veröffentlichung warten. Auf der technischen Ebene ist der Film auf DVD zufriedenstellend. Das Bild ist stets klar und kann vor allem mit hübschen Landschaftsbildern im Wandel der Jahreszeiten aus der Präfektur Yamagata punkten. Unterlegt wird das Geschehen mit einem wunderschönen Soundtrack von Hisaishi Jō. Das Bonusmaterial fällt mit einem kurzen Interview leider sehr sparsam aus.
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit (basierend auf der DVD-Fassung): Okuribito, wie der Film im Original heißt, ist ein sehr schöner und zugleich sehr trauriger Film geworden. Er beweist, dass sich humorvolle und elegische Elemente nicht beißen müssen. Vor der landschaftlichen Idylle Yamagatas, die gar im Wandel der Jahreszeiten gezeigt wird, wird eine wunderbare Geschichte über Liebe, Familie und das Abschiednehmen erzählt. Kein gesellschaftskritischerer Hintergrund als das Tabuthema Tod, das besonders in Japan vorhanden und ein womöglich kaum oder gar zu wenig thematisiertes Tabu ist, hätte man nehmen können, um die Handlung zu erzählen. Dazu kommt, dass die Schauspieler ihre Rollen unglaublich gut verkörpern und dem Film eine ganz eigene Note verpassen. Ob der Film im Land der aufgehenden Sonne nun zur Verständigung beiträgt oder gar ein gesellschaftliches Umdenken einlenkt, darf in erster Linie natürlich einmal bestritten oder zumindest bezweifelt werden. Als künstlerisches Gut ist der Film von Takita Yōjirō jedoch unbestreitbar ein Meisterwerk geworden, das 2009 zudem zu Recht den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhalten hat – eine Auszeichnung, die trotz weniger Nominierungen kein japanischer Film seit über einem halben Jahrhundert mehr erhalten hat. Nokan – Die Kunst des Ausklangs sollte unbedingt von jedem Filmliebhaber und jedem Interessierten an der japanischen Kultur und Gesellschaft angeschaut werden.
Vielen Dank an Kool Film für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Nokan – Die Kunst des Ausklangs!