Obwohl Rise of the Rōnin seit 2015 in Entwicklung war, erfolgte die offizielle Ankündigung erst 2022. Seitdem gehörte das Open-World-Samurai-Action-Rollenspiel zu den meist erwarteten Titeln für Japan-Fans, das am 22. März 2024 exklusiv für die PlayStation 5 erschien.
Seit Jahren fordern Fans von Ubisofts Assassin’s-Creed-Reihe einen Serienteil, der in Fernost angesiedelt ist. Das Flehen hat dieses Jahr ein Ende, doch Sony Interactive Entertainment und Koei Tecmo oder besser gesagt dessen internes Entwicklungsstudio Team Ninja kommen dem französischen Konzern zuvor. Während das für den 11. November 2024 geplante Assassin’s Creed: Shadows Japan-Fans in die Azuchi-Momoyama-Zeit entführt, die schon ziemlich häufig behandelt wurde, geht Rise of the Rōnin einen weniger häufig bestrittenen Weg. Das Action-Rollenspiel versetzt uns nämlich in die ausgehende Edo-Zeit, in der das Ende der Herrschaft des Tokugawa-Shōgunats besiegelt wird. Im Jahr 1853 erreicht Commodore Matthew Calbraith Perry mit den schwarzen Schiffen die japanische Küste und erzwingt im Namen der Vereinigten Staaten von Amerika die Öffnung des weitgehend isolierten Landes. Zu Beginn des Spiels erstellen wir in einem großzügig ausgestatteten Charaktereditor unsere zwei Spielfiguren, von denen wir jedoch nur eine wirklich durchgehend bis zum Abspann kontrollieren. Hierbei handelt es sich um die Zwillingsklingen, die den Auftrag erhalten, Perry zu ermorden. Da Rise of the Rōnin sich weitgehend an die historischen Tatsachen hält, stirbt der Seeoffizier nicht. Stattdessen wirbelt auf dem Schiff ein mysteriöser Samurai unser Leben durcheinander.
Unterschiedliche Blickwinkel
Zu viel möchten wir an dieser Stelle nicht auf die Story eingehen. Fakt ist allerdings, dass wir uns just in diesem Moment für eine der beiden Spielfiguren entscheiden müssen. Das Schicksal des anderen Charakters lüften wir im Verlauf der auf dutzende Stunden ausgelegten Handlung. Über kurz oder lang werden wir ins Japan der 1850er- und 1860er-Jahre hineingeworfen und ziehen als Rōnin, sprich herrenloser Samurai, durch die Lande. Unterwegs lernen wir verschiedene historische Persönlichkeiten kennen, die uns versuchen, auf ihre Seite der politischen Unruhen zu ziehen. So bilden sich in der Bakumatsu-Ära verschiedene Fraktionen, die für oder gegen das noch amtierende Shōgunat sind. Themen wie Ausländerfeindlichkeit, Unterdrückung und das Festklammern an alten Strukturen werden in Rise of the Rōnin breit diskutiert. Das ist gerade deshalb so spannend, da es dem Spiel gelingt, die verschiedenen Sichtweisen nicht einfach bloß schwarz und weiß zu zeichnen. Beim Spielen wechseln wir ständig unsere eigene Position und müssen daher auch gelegentlich die Seiten wechseln. Spürbare Auswirkungen hat dies aber nur in den allerseltensten Fällen, zumal wir ab dem zweiten Kapitel auch jede Mission wiederholen und Entscheidungen rückgängig machen können. Wie gesagt, der Titel orientiert sich stark am echten Geschichtsverlauf. Weicht die Erzählung hin und wieder dennoch davon etwas ab, dann allerhöchstens aus Gründen der Romantisierung.
Charismatische Nebenfiguren
Unterwegs sind wir in Rise of the Rōnin in den drei japanischen Städten Yokohama, Edo und Kyōto. Verbunden sind diese allerdings nicht miteinander. Stattdessen klappern wir die Orte der Reihe nach in den drei großen Kapiteln der Geschichte ab. Genauso wie in anderen Open-World-Spielen wird die Karte nach und nach mit Symbolen vollgekleistert, die wir nacheinander abarbeiten – sofern wir dies denn wollen. Wir können uns auch ganz einfach nur auf die Hauptgeschichte einlassen, verpassen dann aber packende Nebengeschichten. Unter anderem lernen wir durch diese Angelegenheiten mal mehr und mal weniger starke Sympathieträger wie dem Vermittler Katsu Kaishū oder Sakamoto Ryōma kennen, der dabei geholfen hat, den Weg zur Meiji-Restauration zu bereiten. Auch den letzten Shōgun Tokugawa Yoshinobu lernen wir so etwas besser kennen. Schade ist hierbei jedoch, dass die Dialoge das Charisma der Figuren nicht sonderlich gut transportieren. Zwar wissen wir meistens, worum sich die jeweilige Angelegenheit dreht, doch die Gespräche sind häufig etwas ungelenk geschrieben. Keine Sorge: Katastrophal wie zuletzt bei Skull & Bones sind die Dialoge von Rise of the Rōnin nicht. Es hätte aber besser sein können, damit auch die Spieler, die kein allzu großes Wissen über Japan und die illustren Figuren haben, deutlich besser in die Materie abtauchen können.
Taktisches Echtzeit-Kampfsystem
In puncto Gameplay orientiert sich das Action-Rollenspiel stark am hauseigenen Meisterwerk Nioh, das wiederum von Demon’s Souls und Co inspiriert ist. Wir wählen aber nicht einfach Haupt- und Nebenmissionen über ein Auswahlmenü und stellen uns den Herausforderungen, sondern können uns ganz entspannt in der offenen Spielwelt umsehen. In dieser sammeln wir entlaufene Katzen, jagen flüchtige Verbrecher und stellen die öffentliche Ordnung wieder her. Kommt es in Rise of the Rōnin zum Feindkontakt, entweder in der offenen Spielwelt oder in den meist innerhalb der Spielwelt instanzierten Arealen, greifen wir zu den Waffen. Zur Auswahl stehen unter anderem wendige Katana, mächtige Ōdachi oder Speere mit größerer Angriffsreichweite. Mit Langschwertern und Säbeln gibt es zudem Mordinstrumente, die ihren Ursprung außerhalb Japans haben. Gewehre, Pistolen und Bögen stehen ebenfalls zur Verfügung und bieten somit auch die Möglichkeit, aus der Ferne zu agieren. Wie in der Vorlage Nioh kommt es abermals darauf an, jeden Angriff genauestens zu überlegen, da jede Aktion an der Ausdauerleiste zerrt. Auch das richtige Blocken und Konterattacken wollen gelernt sein. Wer sich mit Titeln aus dem Souls-like-Subgenre auskennt, ist klar im Vorteil. Alle anderen werden sich erst einmal einarbeiten müssen, doch ist das absolut kein großes Problem.
Wählbarer Schwierigkeitsgrad
Letzteres dürfte auch daran liegen, dass Koei Tecmo respektive Team Ninja mit Rise of the Rōnin einen Schritt wagen, den Souls-like-Begründer From Software partout nicht gehen will. Der Schwierigkeitsgrad ist auf der normalen Stufe in den meisten Fällen überaus human, doch wem das noch zu hart ist, kann den Schwierigkeitsgrad außerhalb einer Mission auch jederzeit verringern. Auf der niedrigsten Stufe lässt sich sogar zusätzlich der Umgang mit Gesundheit und Ausdauer manipulieren, wodurch sich das Spielgeschehen noch besser auf die eigenen Bedürfnisse zuschneiden lässt. Falls ihr keine Lust auf Kindergeburtstag habt, könnt ihr auch einfach auf den höheren Schwierigkeitsgrad wechseln oder euch nach dem Durchspielen auf der dann freigeschalteten allerhöchsten Stufe nach bester Sadomasochismusmanier ins Getümmel werfen. Wir finden es super, dass ein Entwicklerstudio endlich mal den Mut hat, ein Spiel, das darauf ausgelegt ist, zu fordern, optional auch für weniger begabte oder zumindest leidensfähige Spieler anzubieten, um die Faszination für diese Titel etwas zu beleuchten. So kommt in Rise of the Rōnin wirklich jeder Spielertyp auf seine Kosten. Ebenfalls fair fällt in unseren Augen die Implementierung von Souls-like-Elementen aus, womit vor allem beim doppelten Ableben der Verlust von Erfahrungspunkten bezüglich der Progression gemeint ist.
Faire Charakterprogression
Erfahrungspunkte gibt es im Spiel in zweierlei Formen. Einmal sind damit sammelbare Fortschrittspunkte gemeint, die wir für das Besiegen jedes Gegners und das Abschließen einer Mission erhalten. Diese Punkte können wir nicht verlieren, auch wenn wir sterben sollten. Haben wir genügend Erfahrungspunkte gesammelt, steigen wir im Level auf, was Grundattribute wie Lebensenergie erhöht. Daneben sammeln wir, ebenfalls für jeden besiegten Gegner und jede abgeschlossene Mission, Karma. Ist die Leiste gefüllt, erhalten wir parallel zu jedem Stufenaufstieg einen Fähigkeitspunkt, den wir in verschiedene Skills investieren können. Dazu müssen wir aber zunächst zu einem Banner laufen, die in der Welt als Schnellreisepunkte fungieren, um den Punkt zu sichern. Fallen wir allerdings im Kampf, greift in Rise of the Rōnin der typische Souls-like-Moment: Wir schwören Blutrache und müssen unseren Feind erneut aufsuchen, ihn töten oder zumindest einen kritischen Treffer im Kampf landen. Sterben wir abermals, ist alles Karma verloren. So gibt es zwar nach wie vor etwas Nervenkitzel, doch der Verlust ist nicht mehr allzu tragisch und womöglich nervig. Neben den Fähigkeitspunkten gibt es zudem Spezialpunkte, die selten über Karma, meist aber über das Abschließen von Missionen, Duellen im Dōjō oder das Schließen von Freundschaften erwirtschaftet werden.
Angenehme Inszenierung
In gewisser Weise dienen diese Spezialpunkte in Rise of the Rōnin als Entwicklungsstopper, denn wenn wir in einer Reihenfolge an erlernbaren Fähigkeiten plötzlich nicht genügend auf die Attribute Stärke, Geschicklichkeit, Intelligenz und Charme aufgeteilte Spezialpunkte haben, kommen wir im Fähigkeitsbaum erst einmal nicht weiter. Allzu mächtig können wir also vorerst nicht werden. Wie gesagt, das Action-Rollenspiel ist fair gestaltet und bietet genügend Anreize, auch abseits der Hauptmissionen in die Welt einzutauchen, da das Abschließen sämtlicher Aufgaben in die Charakterprogression einfließen. So gibt es wie in Nioh etliche Ausrüstungsgegenstände zu finden, die wir mit den richtigen Materialien aufwerten oder bestimmte Aspekte auf andere Rüstungen übertragen dürfen. Deshalb motiviert das Spiel auch nach dem Abspann, da wir immer wieder bessere Ausrüstung finden und noch dazu weitere Fähigkeiten erlernen. All das spielt sich steuerungstechnisch hervorragend. Optisch hinkt das Spiel aber eine Konsolengeneration zurück, läuft aber im Performance-Modus meist flüssig und lädt schnell. Auditiv gibt es einen angenehmen Soundtrack auf die Ohren, der das Japan-Setting wunderbar unterstreicht. Nur bei der guten deutschen Synchronisation stören Aussprachefehler bei japanischen Begriffen, die in der Textsprache kurioserweise auch nicht in der Hepburn-Umschrift vorliegen, obwohl dies beim Spieltitel der Fall ist. Trotz dieser Nebensächlichkeiten gehört Rise of the Rōnin absolut zu den Spielen, die sich kein Fan der japanischen Geschichte entgehen lassen sollte. Schöner könnte der Abgesang der Samurai-Ära nicht inszeniert sein.
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit: Rise of the Rōnin ist eines der Action-Rollenspiele, an das ich mich in einigen Jahren mit schönen Erinnerungen besinnen werde. Mir gefällt nicht nur das schön inszenierte Japan-Setting, auch der historische Zeitraum fasziniert mich. Nach Jahrhunderten der Herrschaft des Kriegeradels wird das Ende einer Ära eingeleitet, an dem ich mich auch noch aktiv beteiligen muss. Meine Entscheidungen haben zwar selten spürbare Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte, haben aber schon mal zur Folge, dass bestimmte Charaktere sterben und der Missionsverlauf dann gegebenenfalls anders aussieht. Da ich auch den ersten Teil der Nioh-Reihe mag, komme ich sowohl mit der Steuerung als auch dem ausgetüftelten Kampfsystem gut zurecht. Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad dürfte der Titel die wenigsten Spieler vor große Herausforderungen stellen – oder allerhöchsten in ein paar Ausnahmekämpfen gegen Ende des circa achtzig bis neunzig Stunden langen Gesamtwerks. Das Tolle ist, dass der Schwierigkeitsgrad fast jederzeit verringert oder erhöht werden kann, sodass einfach jeder Spielertyp Spaß hat. Persönlich finde ich es lediglich schade, dass das Spiel wie ein Titel für die PlayStation 4 aussieht und die Möglichkeiten der PlayStation 5 nur bedingt ausreizt. Außerdem hätte bei der deutschen Synchronregie nicht so viel geschlafen werden dürfen. Häufig werden japanische Begriffe falsch ausgesprochen, was zumindest in meinen Ohren an der Atmosphäre kratzt. Dafür gefällt mir die musikalische Note des israelisch-amerikanischen Komponisten Inon Zur. Mit seinen Kompositionen bringt er den Schwanengesang der Samurai auf den Punkt. Wer diesen in spielerischer Form nacherleben will und nicht genug von offenen Spielwelten kriegt, kommt um Rise of the Rōnin definitiv nicht herum.
Vielen Dank an Sony Interactive Entertainment für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Rise of the Rōnin!