2017 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert, mauserte sich Ghost of Tsushima spätestens seit der Electronic Entertainment Expo 2018 zu einem der meist erwarteten PlayStation-4-Titeln. Nach fünfjähriger Entwicklungszeit wurde das Action-Adventure zum „Abschiedsgeschenk“.
Open-World-Spiele gibt es mittlerweile wie Sand am Meer, das mittelalterliche Japan blieb in dieser Gattung als Setting bisher jedoch außen vor. Ghost of Tsushima von Entwicklerstudio Sucker Punch ändert dieses Defizit und überzeugt in ästhetischer Hinsicht mit einer hübschen Welt. Problematisch ist jedoch, dass Story und Gameplay nicht gänzlich überzeugen wollen. Auch in historischer Hinsicht lassen sich die Entwickler so viele Freiheiten, was jedoch der Erzählung und vor allem deren Konfliktlösung geschuldet ist. Ghost of Tsushima beginnt im Jahr 1274 beziehungsweise mit der ersten Mongoleninvasion auf Japan respektive der Insel Tsushima. Angeführt vom fiktiven Khotun Khan gelingt es der militärischen Übermacht der Mongolen, die japanischen Verteidiger der Insel zu überrumpeln. Wir erleben den Angriff in der Rolle von Sakai Jin hautnah mit. Als Samurai wollen wir Japan verteidigen, fallen jedoch in der Schlacht. Zumindest denken wir das, denn kurz darauf wachen wir – gerettet von der Diebin Yuna – in der Nähe eines Dorfes wieder auf. Da sowohl unser Onkel, Fürst Shimura, als auch Yunas Bruder Taka von den Mongolen gefangen gehalten werden, beschließen wir, sie gemeinsam zu retten. Die anfängliche Rettungsmission entwickelt sich mit ansteigender Spielzeit zu einer groß angelegten und koordinierten Befreiungsaktion von ganz Tsushima.
Repetitives Missionsdesign
Was auf dem Papier fast schon überwältigend klingt, ist in der Umsetzung aber tatsächlich äußerst ermüdend. Ghost of Tsushima versucht zwar eine spannende Geschichte zu erzählen, doch scheitert dies bereits am Missionsdesign. Sobald wir von einem der Charaktere unseren nächsten Auftrag erhalten haben, reiten wir über Hügel, Wiesen und Wälder zum Zielpunkt und töten dort meist alle mongolischen Invasoren mitsamt ihren Anführern, um die Gegend zu säubern oder einen Gegenstand zu erbeuten. Es gibt kaum bis gar keine Ausnahmen von dieser langweiligen Mechanik. Ein Beispiel: In einer Mission sollen wir einem Kriegsmönch dabei helfen, eine aus einem Tempel entwendete Buddha-Statue zurückzuholen. Hier wäre durchaus das Potenzial vorhanden gewesen, den Zielort lautlos zu infiltrieren und die Statue leise abzutransportieren. Auch wäre es möglich gewesen, dass wir beim Abtransport – nach dem obligatorischen Säubern des Ortes – von mongolischen Reitern verfolgt werden könnten, die wir dann mit Pfeil und Bogen hätten abwehren müssen. Ghost of Tsushima geht kein großes Wagnis ein. Besondere Missionen wie das Mischen von Gift in den Airag-Vorrat der Mongolen sind die absolute Ausnahme. Sucker Punch nutzt sowohl in der Hauptstory als auch in den Nebengeschichten immer wieder dasselbe und vor allem sehr, sehr repetitive Motiv.
Seelenlose Charaktere
Ebenfalls repetitiv sind auch die weiteren Nebenbeschäftigungen. Überall in der Spielwelt gibt es Shintō-Schreine zu besuchen, Übungen an Bambusständen zu absolvieren, in heißen Quellen zu baden oder auch Haiku zu verfassen. Das lockert das Geschehen zwar positiv auf, zumal wir dadurch entweder Boni auf unsere Gesundheit oder Entschlossenheit erlangen, oder auch neue, wenn meist auch nur rein kosmetische Ausrüstungsgegenstände erhalten. Unserer Meinung nach gibt es jedoch zu viele dieser Aufgaben, die noch dazu auf einer zu großen Spielwelt verteilt sind. Mitunter führt das dazu, dass wir meilenweit durch die sehr leere Spielwelt reiten und nur durch Zufall auf einen Fuchsbau oder ein von den Mongolen kontrolliertes Gehöft treffen. Leider können die eigentlich recht interessanten Charaktere dieses Defizit nicht aufwiegen, da sie allesamt Abziehbildchen voneinander sind. In ihrem Leben dreht sich alles um Rache, sie werden davon getrieben. Ishikawa-sensei wurde vermeintlich von seiner Schülerin hintergangen und verraten. Er schwört Rache. Fürstin Adachi Masakos Familie wurde vollständig getötet. Sie schwört Rache. Irgendwann ist das nicht mehr auszuhalten, zumal die mongolischen Gegenspieler allesamt als seelenlose und brutale Bestien charakterisiert werden, ohne auch nur eine weitere Facette zu ermöglichen.
Durchchoreographierte Kämpfe
All das klingt sehr negativ und in diesen Disziplinen kann Ghost of Tsushima erst im letzten Drittel bis Viertel überzeugen. Hier ins Detail zu gehen, würde zu sehr spoilern. Dennoch gibt es in puncto Gameplay ein paar Lichtblicke. Beispielsweise funktionieren die Kämpfe meistens gut. So gibt es vier Kampfhaltungen, die wir im ersten Drittel des Spiels nach und nach freischalten. Jede Haltung ist effektiv gegen einen ganz bestimmten Gegnertyp. Um Schwertkämpfer, Schildträger, Speerträger und Barbaren (die heißen leider wirklich so ungünstig) zu besiegen, ist ein Wechsel der Haltung nötig. Für getötete Gegner erhalten wir Entschlossenheit, die wir auf Knopfdruck verwenden, um uns zu heilen. Als titelgebender Geist von Tsushima ist es aber auch möglich, hinterhältig zu agieren. Beispielsweise können wir Gegner mit Windglocken oder Böllern anlocken und aus dem Schatten heraus meucheln. Wollen wir ehrenvoller kämpfen, dürfen wir in der Zeit, in der die Feinde gerade auf uns aufmerksam werden, diese auch schlicht herausfordern. Wer an klassische Schwertduelle aus älteren Samurai-Filmen denkt, liegt hierbei genau richtig. Stellen wir uns geschickt an, können wir auf einen Schlag ein paar Gegner aus dem Weg räumen. Nur wenn gelegentlich zu viele Feinde auf einmal auf uns losgehen, kostet uns das zu viel Entschlossenheit – und leider auch Nerven.
Audiovisuelle Immersion
Spannend ist in jedem Falle, dass Sucker Punch in puncto Immersion einen neuen Ansatz versucht. Bildschirmanzeigen gibt es nur in jenen Momenten, in denen sie wirklich nötig sind. Anstatt eine Minimap in der Bildschirmecke anzuzeigen, können wir über das Touchpad des Controllers streichen, um Windböen zu aktivieren, die uns zum nächsten Ziel lenken. Seit Super Mario World 2: Yoshi’s Island aus dem Jahr 1995 ist das wohl das erste Spiel, das so konsequent und bedacht mit dem Verzicht auf Bildschirmanzeigen spielt. Wenn in Ghost of Tsushima passend zum Wind auch noch Kirschblüten, Herbstlaub oder Schnee durch die Luft gewirbelt wird, ist das zudem noch ein visueller Genuss, der hervorragend zum Stil des Spiels passt. Hin und wieder tauchen auch noch Vögel auf, die uns zu Geheimnissen in der Nähe locken. Noch dazu können überall in der Spielwelt Ressourcen wie Bambus, Eisen oder Leinen eingesammelt werden, mit denen sich gegen Aufpreis in Form von Vorräten neue Ausrüstungsgegenstände fertigen lassen. Zu tun gibt es abseits der Haupthandlung also viel. Es muss jedoch jeder für sich entscheiden, ob er oder sie sich darauf einlassen will, denn das Kern-Gameplay von Ghost of Tsushima reicht nicht übers Mittelmaß hinaus. Dennoch ist das Action-Adventure trotz der Mängel als einer der letzten „großen“ Titel für die PlayStation 4 immer noch ein angenehmes und zumindest seicht unterhaltsames Spiel geworden.
Geschrieben von Eric Ebelt
Erics Fazit: Ghost of Tsushima ist eines der Spiele, auf das ich mich seit Jahren gefreut habe. Vor allem europäische und nordamerikanische Entwicklerstudios trauen sich nur sehr, sehr selten daran, Japan als Setting für ihr Spiel auszuwählen – und vor allem nicht in einer offenen Spielwelt. Leider ist Ghost of Tsushima aber nicht das Spiel geworden, das ich mir erhofft habe. Allen voran ist das Missionsdesign durchweg gleichbleibend, die Charaktere als rachsüchtige Figuren nichts weiter als Abziehbildchen voneinander und die zum Teil zu große Spielwelt vor allem im Norden der Karte viel zu leer. Es gibt zwar überall Kleinigkeiten wie das Baden in einer heißen Quelle oder das Aufspüren eines Inari-Schreins zu erledigen, aber das hilft nur bedingt. So sehr mir die Kämpfe mit ihren Mechaniken gefallen und ich auch die Immersionsansätze des Entwicklers gutheiße, so wenig überzeugt mich das leider das Gesamtpaket. Ghost of Tsushima ist zwar immer noch ein angenehmes Spiel für verregnete Abende, doch der große Wurf ist Sucker Punch leider nicht gelungen. Dafür hätte es repetitive Mechaniken gebraucht, unter dem Ghost of Tsushima leider bis zum Abspann leidet.
Vielen Dank an Sony Interactive Entertainment für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Ghost of Tsushima!