Review: Hiroyasu Ishida Collection

Bevor Regisseur Ishida Hiroyasu beim Anime-Film Penguin Highway das Zepter schwang, hat er an mehreren kürzeren Filmen gearbeitet. Vier von diesen Werken veröffentlichte der hiesige Publisher Kazé Anime im Mai 2022 gesammelt mit Bonusmaterial in einer Kollektion.

Aufgeteilt ist die Hiroyasu Ishida Collection auf vier kürzere Filme, die zwischen zweieinhalb und 26 Minuten lang sind. Den Anfang macht Ishidas Werk Fumiko’s Confession. In diesem Film gesteht die titelgebende Fumiko einem Mitschüler ihre Liebe. Als dieser diese jedoch nicht erwidert, ergreift sie peinlich berührt die Flucht, reißt einer älteren Dame auf der Straße ihren Einkaufswagen weg, stolpert beinahe über eine Katze und fliegt in der zweiten Hälfte des zweieinhalbminütigen Films noch durch die Luft. Inhaltlich ist der Film von 2009 definitiv keine Meisterleistung, aber zumindest ein unterhaltsames Werk für zwischendurch. Anders sieht es schon bei Rain Town aus dem Jahr 2011 aus, der alleine technisch deutlich besser ausfällt. Plastisch ins Wasser tröpfelnder Regen, Reflexionen auf der Wasseroberfläche und allgemein der Artstyle sind eine Augenweide. Im Handlungsort, in dem es niemals aufhört zu regnen, ist die Bevölkerung längst in umliegende Ortschaften geflohen. Ein kleines Mädchen in einem orangefarbenen Regenmantel möchte die Stadt erkunden, fällt in ein überschwemmtes Loch und wird daraufhin von einem der ulkigen Bewohner der Stadt gerettet. In zehn Minuten zaubert Ishida eine Welt auf den Bildschirm, über die der Zuschauer mehr und mehr wissen will. Einen abendfüllenden Spielfilm hieraus zu machen, wäre sicher eine gute Idee!

Mitreißende Geschichten

Sonny Boy & Dewdrop Girl aus dem Jahr 2013 weist mit 18 Minuten Laufzeit einen nahezu doppelt so hohen Umfang wie Rain Town auf. Anstatt nur einen kürzeren Schwank aus dem Leben zu schildern oder eine Welt zu umschreiben, versucht der Film mit Dialogen und sehr lustigen Situationen eine richtige Geschichte zu erzählen. Im Mittelpunkt der Erzählung steht der Grundschüler Hinata, der in seine Mitschülerin Shigure verliebt ist. Im Gegensatz zu der mutigen Fumiko in Fumiko’s Confession traut er sich nicht, Shigure von seinen Gefühlen zu berichten. Erst als Shigure im Begriff ist, mit ihrer Familie in eine andere Stadt zu ziehen, ist ihm seine Schüchternheit egal. Der etwas romantisch angehauchte Film spielt zwar mit den typischen Klischees des Verliebtseins, bricht in der zweiten Hälfte aber mit der Form der Darstellung. Zum Teil flüchtet sich die Geschichte in die Gedanken und Fantasien der Kinder. Auch gestaltungstechnisch weiß Sonny Boy & Dewdrop Girl zu überzeugen, was vor allem an den gelungenen dreidimensionalen Effekten, der hervorragenden Lichtstimmung und dem tollen und unverwechselbaren Charakterdesign liegt. Auch die Farbgestaltung, die sich nach der Stimmung der Kinder richtet, trägt ihren Teil zum äußerst positiven Gesamteindruck bei. Die 18 Minuten hat Regisseur Ishida von der ersten bis zur letzten Szene absolut gut genutzt.

Vorstellbares und Mysteriöses

Beim letzten enthaltenen Film handelt es sich um das circa 26 Minuten umfassende Werk Typhoon Noruda. An der Tsujikita-Mittelschule wird das bevorstehende Sommerfest mit großer Vorfreude erwartet. Alles ist in Aufregung. Die Vorbereitung läuft auf Hochtouren, wird aber jäh getrübt, als der Taifun, der erst für den übernächsten Tag angekündigt war, zu früh auf die Insel, auf der sich die Mittelschule befindet, trifft. In all diesem Wirrwarr müssen sich die beiden Mittelschüler Shūichi und Kenta streiten, was ihre Freundschaft auf die Probe stellt. Auch dass sich alle Schüler während des Sturms in der Schule verbarrikadieren sollen, hilft der Situation nicht wirklich weiter. Noch dazu bemerkt Shūichi mitten im Sturm ein mysteriöses Mädchen vor der Schule. Fragen nach der Identität und nach der Herkunft werden aufgeworfen. Typhoon Noruda geht in diesen Punkten über das Vorstellbare hinaus und driftet dafür ins Mysteriöse ab. Der Film aus dem Jahr 2015 verbindet daneben die Qualitäten von Rain Town und Sonny Boy & Dewdrop Girl und vermischt sie zu einem eigenständigen Erlebnis. Trotz der kurzen Laufzeit fühlt sich der Film wie ein abendfüllendes Abenteuer an. Noch dazu sollte erwähnt werden, dass Typhoon Noruda der einzige der vier enthaltenen Filme ist, der neben der enthaltenen japanischen Tonspur auch ins Deutsche synchronisiert wurde.

Interessantes, aber in die Länge gezogenes Interview

Beim Bonusmaterial werden Fans von Ishida verwöhnt. Digital liegt auf der Blu-ray Disc ein Interview mit dem Regisseur und neben den vier Filmen auch der Kurzfilm Paulette’s Chair vor. Der dreieinhalbminütige Kurzfilm erzählt die Geschichte von Paulette, die zu schüchtern ist, sich mit anderen Kindern zu unterhalten und zu spielen. Abhilfe schafft ihr kleiner Stuhl, der offenbar lebendig ist. Er schubst sie in die richtige Richtung, sodass sie ihre Entwicklung selbst in die Hand nimmt. Bis ins späte Jugendalter wird Paulette von ihrem Stuhl begleitet, der sie immer wieder antreibt, nicht traurig zu sein und niemals aufzugeben. Paulette’s Chair ist ein liebevoller Kurzfilm, der komplett ohne Dialoge auskommt und auf Soundeffekte fast völlig verzichtet. Aufgrund seiner Länge setzt der Film auf ein durchgehendes Musikstück, das die Emotionen von Paulette gefühlsbetont einfängt. Spannender dürfte für Fans das halb auf Englisch und halb auf Japanisch gehaltene Interview mit Ishida sein, das mit 55 Minuten üppig ausfällt. Das Interview fühlt sich aber in die Länge gezogen an, da es nicht geschnitten ist. So muss der Zuschauer ständig auf die Dolmetscherin warten – in beide Richtungen! Das ist auf Dauer ermüdend. Aufgrund dessen, dass Japanisch nicht simultan gedolmetscht werden kann, hätte das Interview für die Blu-ray-Veröffentlichung definitiv angepasst werden müssen.

Gehaltvolles physisches Bonusmaterial

Beeindruckender ist jedoch die Tatsache, dass der Hiroyasu Ishida Collection insgesamt fünf Booklets als physisches Bonusmaterial in unterschiedlichem Umfang beigelegt wurden. Das Booklet zu Fumiko’s Confession sticht in puncto Umfang hervor und ist zu alledem als Making-of-Buch betitelt. Es spiegelt den Inhalt über den Titel hervorragend wider. Der Leser erhält einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Werks. Zu diesem Zeitpunkt war Ishida noch Student an der Universität und erklärt, mit welchen neuen Werkzeugen und Methoden er an Fumiko’s Confession herangegangen ist. Auch Mitarbeiter seines Teams und Professoren der Kyōto-Seika-Universität kommentieren sein Werk. Letzteres dürfte eine Besonderheit im Anime-Sektor sein, werden Filme und Werke dieser Art im Rahmen der Populärkultur doch wenig wissenschaftlich betrachtet. So etwas dürfte es ruhig häufiger geben! Das Booklet zu Typhoon Noruda ist hingegen schlicht ein Artbook, in dem der Betrachter Einblicke in das Charakterdesign, die Hintergrundskizzen und -malereien, die Komposition, die Animationsskizzen, das Design eines Raumschiffes, in die Darstellung des Logos und allgemeine Gegenstände und Bilder aus dem Ending erhält. In Interview-Form erhält der Leser in einem weiteren Booklet zu Typhoon Noruda hilfreiche wie interessante Produktionsnotizen.

Guter Einblick in die Entstehungsgeschichte

Bei Sonny Boy & Dewdrop Girl setzt der hiesige Publisher Kazé Anime auf ein ähnliches Konzept. Der Betrachter kann sich in einem kleinen Artbook mit Details zu den Figuren, zu den Hintergründen und zu Konzeptzeichnungen von Ishidas Werk beschäftigen. Zu Sonny Boy & Dewdrop Girl liegt der Sammlung wie bei Typhoon Noruda ebenfalls ein eher dünnes Heftchen bei. In diesem erfährt der Leser auf wenigen Seiten umso wichtigere Hintergründe zur Produktion des Films. Unter anderem wird hier hervorgehoben, dass es sich bei Sonny Boy & Dewdrop Girl um Ishidas ersten kommerziellen Film handelt und die Herausforderung damit für ihn, seine Regiearbeit und im Allgemeinen sein Team noch einmal eine andere war. All die Hintergründe, die hier gezeigt und erklärt werden, bereichern die Kollektion vehement. Sie vermitteln einen guten Eindruck von dem, was die Arbeit an Anime-Filmen zu Beginn der 2010er-Jahre vor dem Hintergrund des Alters der Beteiligten ausgemacht und bedeutet hat. Schade ist nur, dass Rain Town ohne physisches Bonusmaterial auskommt. Über dieses Werk wäre sicherlich auch sehr viel zu sagen gewesen. Dies ist zwar eine verpasste Chance, aber zugleich nur der Tropfen auf dem heißen Stein, denn die Hiroyasu Ishida Collection bleibt eine überaus gelungene Sammlung von mehreren Werken eines noch jungen Regisseurs, über den die Anime-Welt in Zukunft hoffentlich noch sehr viel mehr hören wird.

Geschrieben von Eric Ebelt

Erics Fazit (basierend auf der Blu-ray-Fassung): Ein wenig überraschend ist es schon, dass ein Regisseur mit seinen Frühwerken gewürdigt wird, obwohl er noch gar nicht so viele Filme veröffentlicht hat und noch dazu noch recht jung ist. So geschehen ist es jedoch bei der Hiroyasu Ishida Collection von Kazé Anime, die mit vier beziehungsweise fünf Werken des titelgebenden Regisseurs ausgestattet ist. Diese legen verschiedene Schwerpunkte, auch wenn sich nicht abstreiten lässt, dass Gemeinsamkeiten vorhanden sind. Zum Beispiel sind Ishidas Charaktere gerne mal wie in Fumiko’s Confession oder Sonny Boy & Dewdrop Girl verliebt und verstricken sich in tollpatschige Situationen. Ebenfalls versuchen sie häufig, das Unbekannte wie in Rain Town oder Typhoon Noruda zu entdecken oder zu erforschen. Trotz der jeweils sehr kurzen Laufzeiten macht das sehr viel Spaß. Darüber hinaus kann auch das umfangreiche Bonusmaterial überzeugen, das einen tiefgehenden Einblick in die Produktion und Entstehung von Ishidas Werken gibt. Ob es die Kollektion bereits jetzt hätte geben müssen, sei einmal dahingestellt. Sie vermittelt aber einen sehr guten Überblick über das, was Ishidas Werke im Kern ausmachen und was Anime-Fans in Zukunft noch von ihm erwarten dürfen.

Vielen Dank an Kazé Anime für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars der Hiroyasu Ishida Collection!

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