Review: Octopath Traveler II

Mit dem Erscheinen von Octopath Traveler löste Publisher Square Enix eine Renaissance der 16-Bit-Rollenspiele aus. Im frischen HD-2D-Gewand folgten weitere Spiele mit dem gleichen grafischen Grundgerüst. Kein Wunder, dass auch Octopath Traveler II diesen Weg einschlägt.

Wer den ersten Serienteil aus dem Jahr 2018 gespielt hat, wird sich sofort in Octopath Traveler II zurechtfinden. So wählen wir zu Beginn des Spiels einen aus insgesamt acht Charakteren aus und folgen zunächst dessen Handlungsstrang. Bei den Spielfiguren handelt es sich um illustre Charaktere, die sich inhaltlich voneinander unterscheiden. Zur Auswahl steht zum Beispiel der Krieger Hikari Khu, der sich inmitten eines Erbfolgestreits wiederfindet. Die Tänzerin Agnea Bristerni möchte hingegen in die Fußstapfen ihrer berühmten Mutter treten. Partitio Yellowil ist wiederum ein aufstrebender Händler, der die Armut in der Spielwelt Solistia bekämpfen will. Der Magier Osvald V. Vanstein sitzt hingegen unschuldig hinter Gittern und schwört Rache an seinem Peiniger. Beim Handlungsstrang von Temenos Mistral entwickelt sich hingegen eine Geschichte um den Mord eines Pontifex. Die Diebin Throné Anguis will sich hingegen von den Machenschaften ihrer Bande lösen und stößt dabei auf Hindernisse. Bei Ochette handelt es sich hingegen um ein Wildlingsmädchen, das ein drohendes Unheil von ihrem Dorf abwenden muss. Zu guter Letzt wäre da die Apothekerin Castti Florenz, die unter Amnesie leidet. Alle acht Geschichten sind wunderbar erzählt. Allerdings bleibt das Problem des Vorgängers bestehen: Sie ergeben nicht wirklich ein großes Ganzes.

Schwache zwischenmenschliche Beziehungen

Bei Octopath Traveler II handelt es sich um ein Spiel, das keine weltumspannende Geschichte erzählt, sondern sich auf die Handlungsstränge der acht Spielfiguren konzentriert. Wäre dies noch geradewegs akzeptabel, da die Geschichten großartig geschrieben sind, enttäuscht einmal mehr die Interaktionsintensität untereinander. Diese ist weder beim ersten noch beim zweiten Teil als vollfertiges Feature des Rollenspiels zu betrachten. Es gibt zwar sehr seltene Momente, an denen sich die Handlungsstränge überschneiden, und auch Gespräche während der Wanderung, die geringfügig an die Skits aus Tales of Symphonia und Co erinnern, sind möglich, aber das ist für ein Spiel dieses Ausmaßes viel zu wenig. Dieses Defizit ist gerade deshalb unverständlich, da es schon beim ersten Serienteil kritisiert wurde. Noch größeres Kopfschütteln wird bei uns hervorgerufen, wenn wir an Trials of Mana denken. Da hat das schon in den 1990er-Jahren auf dem Super Nintendo funktioniert und im Remake aus dem Jahr 2019 sogar noch einmal besser. Entwicklerstudio Acquire verlässt sich zu sehr auf den Nostalgiebonus, dass das Spiel aufgrund seines immer noch frischen Retro-Looks wohl genug Käufer anspricht. Bei ein paar Monaten mehr Entwicklungszeit hätte mit einer Dialogvielfalt etwas Großartiges geschaffen werden können. So wirkt dieser Aspekt aber schlicht unfertig.

Vielfältige Wege-Aktionen bei Tag und bei Nacht

Definitiv nicht unfertig wirkt das allgemeine Gameplay von Octopath Traveler II, denn dieses lädt in vielerlei Hinsicht zum Experimentieren ein. Allen voran müssen hier die toll geschriebenen Charaktere gelobt werden, denn genau so wie sie sich in den Story-Sequenzen geben, so spielen sie sich. Beispielsweise können wir mit Throné Taschendiebstähle ausführen und mit Temenos Nicht-Spieler-Charaktere ausquetschen, um versteckte Gegenstände und geheime Informationen zu erlangen. Hikari kann hingegen Menschen zum Duell fordern, um durch den Kampf neue Fähigkeiten zu erlernen. Jede Spielfigur beherrscht zwei dieser sogenannten Wege-Aktionen, die von der Tageszeit abhängig sind. Zeit vergeht entweder automatisch, wenn wir durch die Welt reisen oder auf Knopfdruck. Jederzeit können wir die Tageszeit dynamisch und noch dazu ohne Ladezeiten wechseln. Während wir mit Osvald tagsüber Menschen unter die Lupe nehmen, um mehr über sie zu erfahren, können wir sie nachts ausrauben. Partitio kann je nach Tageszeit mit Nicht-Spieler-Charakteren handeln oder sie anheuern, um sie in den Kämpfen als Unterstützung herbeizurufen. Noch dazu haben diese Begleiter einen Einfluss auf den Handel mit anderen Figuren. So verzahnen sich die Wege-Aktionen stark mit dem restlichen Gameplay, was uns außerordentlich gut gefällt und uns richtig austoben lässt.

Bekannt gute Ansätze mit denselben Schwächen

Obwohl die Wege-Aktionen Octopath Traveler II wie schon den ersten Teil zu einer riesigen Spielwiese machen, sind bedauerlicherweise dieselben Logikfehler zu beanstanden. In jeder Stadt können wir bei einer Wege-Aktion bis zu fünf Mal scheitern. Fällt unserem Opfer zum Beispiel der Diebstahl auf, so reagiert er danach dennoch freundlich auf uns. Erst wenn wir fünf Mal gescheitert sind, können wir keine Wege-Aktion mehr einsetzen und müssen unseren guten Ruf gegen Bares in der hiesigen Kneipe, in der wir auch die Charaktere unserer maximal vierköpfigen Gruppe auswechseln können, wiederherstellen. Wenn sich das japanische Rollenspiel schon europäischen Werken annähern will, so sollte ein wenig mehr auf Logik und Co geachtet werden. Die Gothic-Reihe ist hierfür ein Paradebeispiel. Dies ist aber wirklich nur der Tropfen auf dem heißen Stein, denn ansonsten macht das Erbeuten von Items, Informationen und Fähigkeiten jede Menge Spaß. Daneben lädt die Spielwelt sehr stark zum Erkunden ein. Überall gibt es kleinere Abzweigungen, die uns zu mal mehr und mal weniger wertvollen Schätzen führen. Es macht Spaß, jeden Winkel der Welt zu erforschen, da wir alle paar Minuten dafür belohnt werden. Warum aber gerade das Dungeondesign so linear ausfällt und nicht einmal das Allernötigste bietet, ist uns wiederum ein ganz fieser Dorn im Auge.

Taktisches Kampfsystem mit Tiefgang

Beim Kampfsystem gibt es nur wenig zu beanstanden. Wie der Vorgänger ist auch Octopath Traveler II ein rundenbasiertes Rollenspiel mit Kampfbildschirm. Laufen wir also durch die Gegend, beginnt in absolut fairen und niemals nervigen Abständen ein Zufallskampf. Gegner sind also in den Gebieten mit Ausnahmen von größeren Zwischen- und Bossgegnern nicht zu sehen. Je nachdem wie agil unsere Charaktere sind, desto früher sind sie in der jeweiligen Runde am Zug. Sobald einer unserer vier Recken an der Reihe ist, können wir in aller Seelenruhe unsere Entscheidungen treffen. Großartige Änderungen seit dem ersten Teil sind hierbei aber nicht zu finden. Das ist aber auch nicht schlimm, da schon Octopath Traveler mit einem funktionierenden Kampfsystem aufgewartet hat. Um einem Gegner ordentlich Schaden zufügen zu können, müssen wir erst einmal seine Schwächen herausfinden. Ist ein Gegner zum Beispiel empfindlich für Schwertangriffe und Feuermagie, so setzen wir verstärkt diese ein, um die Verteidigung des Gegners zu durchdringen. Anschließend ist dieser für eine Runde außer Gefecht gesetzt. Jede Runde wird uns übrigens auch eine Bonusaktion gutgeschrieben, sofern wir in der vorherigen Runde nicht Gebrauch davon gemacht haben. So können wir unsere Feinde gleich mehrfach angreifen, was durchaus für sehr viele taktische Spielzüge sorgt.

Fantastischer Soundtrack

Letzteres ist klar von Bravely Default inspiriert, lässt aber glücklicherweise Spielraum für Fehlentscheidungen. Die Kämpfe verlaufen je nach Gruppe recht schnell. Lediglich bei den Bosskämpfen müssen wir auch schon mal etwas vorsichtiger agieren. Solche Kämpfe können sich dann auch je nach Level unserer Helden auch ein wenig in die Länge ziehen. Der einzige Wertmutstropfen hierbei ist, dass Charaktere, die sich nicht in der aktuellen Gruppe befinden, auch keine Erfahrungspunkte erhalten. Das führt regelmäßig zum wiederholten Aufleveln und dürfte selbst unter Fans des Genres nicht jeden Spielertypen ansprechen. Wesentlich ansprechender sind Grafik und Musik von Octopath Traveler II. Während die Spielwelt stark an 16-Bit-Rollenspiele angelehnt ist, aber tatsächlich aus 3D-Modellen besteht, handelt es sich bei den dargestellten Figuren um typische 2D-Sprites. Hinzukommen hübsche Spezialeffekte, die die Atmosphäre verdichten. Nicht unschuldig daran ist auch der Soundtrack von Komponist Nishiki Yasunori, der mit jeder verdammten Note den richtigen Ton trifft. Viel zu selten bieten japanische Rollenspiele diese Wucht, die hier jederzeit zu hören ist. Wer mit den wenigen, aber nicht von der Hand zu weisenden Defiziten des Spiels leben kann, bekommt mit Octopath Traveler II ein solides Rollenspiel, das auf einer Ebene mit dem Vorgänger steht.

Geschrieben von Eric Ebelt

Erics Fazit (basierend auf der PC- und der Nintendo-Switch-Fassung): Octopath Traveler II macht mir als Fan des Genres sehr viel Spaß. Auch nach vielen Stunden habe ich immer noch Lust, die Spielwelt zu erkunden, mich in etliche weitere Zufallskämpfe zu stürzen und die Geschichten der acht Charaktere zu erleben. Fantastisch geschriebene Handlungsbögen, großartig vertonte Dialoge und auch das technische Grundgerüst machen dieses japanische Rollenspiel wahrlich zu einem Freudenfest. Leider verpufft ein guter Teil der Atmosphäre durch die kaum vorhandenen zwischenmenschlichen Beziehungen der acht Charaktere, denn diese agieren so gut wie gar nicht miteinander. Dies mag womöglich an einer fehlenden übergeordneten Handlung liegen, aber auch so ist das nicht zu verstehen. Hier haben sogar Spiele aus den 1990er-Jahren die Nase vorn. Vor allem nach der Kritik, die diesbezüglich beim Vorgänger gefallen ist, und auch aufgrund der sonst sehr hohen Qualität des zweiten Teils, ist dies für mich unbegreiflich. Gerade wegen dieser verpassten Chance bleibt Octopath Traveler II leider nur auf einer Ebene mit dem ersten Teil. Da dieser aber schon ein gutes Spiel war, ist das nicht so schlimm. Octopath Traveler II hätte eben nur noch viel besser sein können.

Vielen Dank an Square Enix für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Octopath Traveler II!

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