Rollenspiel-Fans dürfen endlich aufatmen – Xenoblade Chronicles X unterscheidet sich in manchen Punkten von unseren Erwartungen deutlich, ist aber immer noch ein Spiel der absoluten Superlative und ein Must-Have für die kaum mit Spielen versorgte Wii U geworden.
Auf erste Unterschiede zum geistigen Vorgänger Xenoblade Chronicles, welches 2011 für die Wii erschienen ist, stoßen Kenner schon nach wenigen Spielminuten. Nun steuern wir nicht mehr eine vorgegeben Handlungsfigur wie Shulk, dem Held aus dem Vorgänger, sie war, sondern stellen unseren eigenen Charakter in einem Editor zusammen. Unser von altbekannter Amnesie und Stummheit geplagter Held beginnt seine Reise im Jahr 2054 auf dem Planeten Mira, auf dem die Menschheit unfreiwillig Zuflucht finden musste. Von xenoformen Streitkräften verfolgt, gab sie die Erde auf, um in den Weiten des Alls einen alternativen Lebensraum zu finden. Das Science-Fiction-Setting, welches uns an unzählige andere Erzählungen erinnert, unterhält vor allem durch seine japanischen, bunten und überdrehten Ansätze und nur teils durch seine Geschichte. In New Los Angeles organisieren sich die Flüchtlinge neu, wodurch die Stadt zum Zentrum jeglicher menschlicher Aktivität auf Mira wird. Schnell wurde eine Organisation namens Blade ins Leben gerufen, die für Recht und Ordnung in New Los Angeles, Aufklärung des Planeten und Schutz vor potentiellen Feinden sorgen soll. Als Spieler werden wir schnell dazu gedrängt, uns doch auch dieser gemeinnützigen Gruppierung anzuschließen, womit wir symbolisch den Vertrag für unser Abenteuer besiegeln.
Fokussierte Rollenspiel-Erfahrung
Es gibt viel zu tun. Allen voran wird die Kolonie von den aggressiven einheimischen Lebensformen bedroht. In den Kampf ziehen wir mit bis zu vier Truppenmitgliedern. Neben den Menschen können wir mit der Zeit auch Vertreter neuer und alter Rassen in unsere Gruppe aufnehmen. Die pummeligen Nopons feiern ihr Comeback, neu dabei sind die xenoformen Prones oder die Ganglion. Monolith Soft erschuf wie schon im Vorgänger ein interessantes Science-Fiction-Setting mit eigenen Rassen, Begriffen und Regeln. Kapitel für Kapitel erfahren wir mehr über Mira, den Werdegang der Menschheit und den Absichten unserer außerirdischen Gegner, was in einigen Überraschungen für den Spieler enden wird. Trotzdem fällt es Xenoblade Chronicles X schwer, die erzählerischen Höhen seines Vorgängers zu erreichen. Dazu versucht das Spiel mit dem humoristischen Geplänkel einiger Figuren unsere Sympathie zu gewinnen, was nur mäßig gelingt. Für eine Geschichte, dessen zugrundeliegendes Spiel sich augenmerklich auf seine Rollenspiel-Elemente konzentriert, ist das Abenteuer allerdings dennoch überdurchschnittlich unterhaltsam – zumindest solange man dem Spiel die Zeit gibt, seine Story zu entfalten. Ob damit die nicht vorhandene japanische Sprachausgabe entschuldigt wird, muss jeder für sich entscheiden, denn diese findet man auf der Disc nicht.
Spaß an Perfektion
Während im Vorgänger noch das Monado-Schwert alles untergraben hat, legt dieses Spiel beim Ausstaffieren unserer Gruppe noch einmal eine Schippe oben drauf. Unser Charakter führt nun eine Nahkampf- und eine Schusswaffe mit sich. Jedes Teammitglied verfügen über spezielle Ausrüstungs- und Waffen-Sets, sowie ihre eigenen Techniken, die wir nach Belieben ausbauen. Das Kampfsystem erinnert an jenes klassischer Online-Rollenspiele, was bedeutet, dass neben automatischen Standardangriffen einzelne Techniken – sobald sie aufgeladen sind – aus einer Leiste heraus per Knopfdruck aktiviert werden. Dieses indirekte System sorgt dafür, dass wir eine Menge unterschiedlicher Angriffe gezielt aufeinander abstimmen können und dadurch Zusatzeffekte erhalten. So ist es immer noch ratsam, Gegner erst umzuwerfen und dann effektive Angriffe anzuketten. Einen anderen Charakter zu steuern, wie es noch in Xenoblade Chronicles möglich war, wird uns nun nicht mehr gestattet. Dafür entscheiden wir mit einem neuen Klassensystem schon recht bald, in welche Richtung wir unseren selbstgestrickten Helden entwickeln wollen. Ebenfalls neu sind Kampfrufe, die in Schlüsselmomenten des Gefechts Fertigkeit- und Fähigkeitsverbesserungen verteilen. Detailverliebte, die ihren Charakter bis zur Perfektion rundschleifen wollen, freuen sich über sehr viele Möglichkeiten.
Landschaftssimulator 2054
Im Mittelpunkt des gesamten Spielerlebnisses steht die Welt, was auch so zweifelsfrei kommuniziert wurde. Vollgestopft mit Missionen, Schätzen, Monstern und Weiterem werden etliche Stunden ins Land gehen, bis wirklich alles erledigt ist. Die schiere Größe der Spielwelt mit ihrer enormen Sichtweite beweist uns durchgehend, dass Mira plattformübergreifend seinesgleichen sucht. Die ausgefallene Flora und Fauna mit ihrem vorzeitlichen Flair sorgt für atemberaubende Ausblicke. Sollte einmal die Übersicht verloren gehen, können wir eine Drohne abschießen und die Lage aus der Vogelperspektive in Echtzeit auskundschaften. Dieses sinnvolle Feature ist eine intelligente Ergänzung, um sowohl dem Spielgefühl als auch dem Überblick dienlich zu sein. Schönheitsfehler gibt es trotzdem: Schlagartig aufpoppende Modelle sind da hingegen fast schon erschreckend. Erst recht, wenn es sich um Questgeber oder Monster handelt, die plötzlich vor uns erscheinen. Letztere sind oft doppelt oder dreifach höher gelevelt als unsere Gruppe. Das wäre im Grunde kein Problem, wenn uns nicht verhältnismäßig viele dieser Gegnern uns schon in Sichtweite zum Fressen gern haben und uns über den halben Kontinent jagen. Ein Treffer vom Dino-Papa reicht aus, damit wir beim letzten Checkpoint starten. So verwandelt sich entspanntes Erkunden bald in einen Hürdenlauf.
Die Spielwelt der Superlative
Altbekannt ist auch das Kollektikon, welches das Sammeln von kuriosen Gegenständen wie des gesichtslosen Äffchens oder der Überschallschildkröte mit zusätzlichen Trainingspunkten belohnt. Es ist fast schon erschreckend, wie viel Spaß wir in diesem Spiel allein beim banalen Sammeln von derlei Objekten haben. Fans werden auch die Harmonie-Missionen, bei denen neben den Kämpfen auch unsere Begleitpersonen im Mittelpunkt stehen und eigene Geschichten erzählen, nicht missen müssen. Richtig neu sind die Mecha-artigen Skells, auf die wir nach einem guten Stück Spielzeit Zugriff erhalten. Während vorher eine steile Bergwand noch mühevoll zu Fuß umrundet werden musste, überfliegen wir sie nun mit Leichtigkeit und sehen altbekannte Gebiete in einem völlig anderen Licht – dabei kann sogar noch die schöne Aussicht bewundert werden. Kämpfe können in diesen besonderen Fahrzeugen auch ausgetragen werden, selbstverständlich besitzen die Maschinen auch ihre eigenen Techniken. Die Erforschung von Mira gestaltet sich einfach und geht Hand in Hand mit der Informationsbeschaffung für Blade und die ganze Kolonie. Um die fünf gigantischen Kontinente zu kartographieren, setzen wir Datensonden ein, die Gebiete erschließt und Ressourcen sowie ein paar Credits für uns scheffelt. Die Ansätze des Ökosystems sind spaßig und zudem sinnvoll implementiert.
Alleine Arbeiten – gemeinsam Abkassieren
Aufstrebende Rüstungsfirmen nehmen gesammelte Ressourcen dankend entgegen und entwickeln im Gegenzug neue Waffen und Verbesserungen. Natürlich haben diese Konzerne gleich ein Interesse daran, dass wir ihre Produkte verwenden – das Sponsoring zahlt sich auch für uns aus. Ebenso ist es um die Multiplayer-Komponenten bestellt. Xenoblade Chronicles X zeigt, dass Monolith Soft eine Menge Ambitionen in das Einbinden anderer Spieler über das Internet investiert hat. In speziellen Truppenmissionen legt das Spiel uns mit anderen Spielern automatisch in Gruppen von bis zu 32 Personen zusammen. Jeder erlegt während seiner Singleplayer-Erfahrung bestimmte Gegner oder sammelt Items, um alle zusammen das Ziel der gemeinschaftlichen Mission zu erreichen, selbst wenn man sich in der Spielwelt persönlich nie über den Weg läuft. Mit Freunden geht das selbstverständlich auch, mit drei von ihnen gleichzeitig können wir auch über normale Missionen zusammenarbeiten. Um sich leicht ein paar Erfahrungspunkte am Wegesrand zu verdienen, registrieren wir eine Kopie unseres Charakters am besten an einem Verteiler, sodass er als nichtspielbarer Charakter in der Welt eines anderen zur Verfügung steht. Genauso können wir andere Blade-Mitglieder rekrutieren, wenn uns die alten Gesichter der Handlungsfiguren etwas zu oft unter die Nase kommen.
Ein Spiel bleibt im Ohr
Wenn jemand über Xenoblade Chronicles spricht, kommt dieser nicht drumherum, den großartigen Soundtrack zu erwähnen. Hauptverantwortlicher Komponist Sawano Hiroyuki ist erst seit Kurzem mit der Vertonung von Videospielen vertraut, kann sich aber mit seiner Arbeit an Xenoblade Chronicles X direkt einen Eintrag für den einprägsamsten und ungewöhnlichsten Soundtrack des Jahres sichern. Seinen markanten Stil, den er in Anime-Serien wie Attack on Titan, Kill la Kill oder Aldnoah.Zero schon zahlreich zelebrierte, übertrug er nun auf ein Spiel, auf das die erfassenden Klänge kaum besser hätten passen können. Mitreißende Rhythmen und einfühlsame Gesangseinlagen bilden eindeutig die Speerspitze der besten Untermalung, die wir uns für das Erkunden der Spielwelt vorstellen könnten. Sobald man aber beispielsweise in New Los Angeles Besorgungen erledigt oder eines der vielen Battle-Themes hört, werden die Spieler wohl mit Sicherheit überrascht, wobei der persönliche Geschmack eine sofortige Polarisierung nicht verhindern kann. Auch wir waren uns lange Zeit nicht sicher, was wir von einigen speziellen Tracks halten sollen, an vielen Stellen scheint die Musik im Bezug aufs Spielgeschehen autonom und fast schon unpassend zu wirken. Dennoch wird der Soundtrack auch bei diesem Abenteuer eines der erinnerungswürdigsten Elemente des Spiels bleiben.
Geschrieben von Jonas Maier
Jonas‘ Fazit: Xenoblade Chronicles X lieferte für mich definitiv eine der großartigsten Spielerfahrungen des Jahres, kann meiner Meinung nach den Vorgänger aber an manchen Punkten nicht das Wasser reichen. Während mir auf der Wii in Xenoblade Chronicles vor allem die toll erzählte und wandlungsbereite Geschichte in Erinnerungen blieb, ist die Handlung in Xenoblade Chronicles X gefühlt nur der inhaltliche Anstrich der Prämisse. Wer damit klar kommt, wird allerdings bei der Spielwelt und dessen Inhalten nur noch mehr ins Staunen geraten. Zwar sind viele Quests und Aufgabentypen alles andere als neu, diese Elemente stellen aber ein generelles Problem bei Rollenspielen mit einem Fokus auf die offene Welt dar. Diese ist dafür um so schöner ausgefallen und zeigt, welch kreatives Potential Monolith Soft besitzt. Wer mit diesem Spiel warm wird, braucht bis zum nächsten Spiel der einzigartigen Rollenspiel-Entwickler kein weiteres Abenteuer mehr.