Vor mehr als dreißig Jahren erschien Tetris. Wir nehmen euch mit auf eine Reise hinter den Eisernen Vorhang, in die Endphase des Kalten Kriegs und der Angst vor radioaktiver Verstrahlung; in einen wirtschaftspolitischen Krimi um ein einziges Computerspiel.
Am 14. März 1956 wurde Tetris-Erfinder Alexei Leonidowitsch Paschitnow im sowjetischen Moskau geboren. In seiner Jugend war nicht abzusehen, mit welch großartiger Erfindung der Forscher, der später an der Russischen Akademie der Wissenschaften angestellt war, weltweit für Aufsehen sorgen sollte. Die Arbeitsbedingungen waren regelrecht schlecht. Paschitnow musste in einem Raum arbeiten, der für vier oder fünf Wissenschaftler ausgelegt war, doch in der meisten Zeit verbrachte die dreifache Menge an Forschern Zeit an diesem Arbeitsplatz. So teilte er sich seinen Schreibtisch mit bis zu drei Kollegen und übernahm spätere Schichten, um an künstlicher Intelligenz und automatischer Spracherkennung zu arbeiten. Paschitnow war schon immer an Computern interessiert, da diese genau so arbeiteten, wie man es ihnen tatsächlich befohlen hatte. Allerdings dienten die Erkenntnisse seiner Forschung vermutlich mehr dem Militär und dem Komitee für Staatssicherheit, als tatsächlich friedlichen Zwecken. Tests führte Paschitnow an Spielen durch, die er mit der Programmiersprache Pascal selbst entwickelt hatte. Netterweise scheinen diese so interessant gewesen zu sein, dass ein paar der Spiele ab 1997 in Microsoft Entertainment Pack: The Puzzle Collection für den PC erschienen sind. Sechs der zehn Spiele wurden sogar als Kollektion für den Game Boy Color umgesetzt.
Inspiration: Pentomino
Bis zur Veröffentlichung dieser Videospielsammlungen war es 1984 aber noch ein langer Weg. Paschitnow ist begeistert vom Brettspiel Pentomino. Auf einer rechteckigen Fläche müssen in Pentomino Blöcke ausgelegt werden, die sich in ihrer Struktur zwar unterscheiden, aber immer aus fünf miteinander verbundenen Quadraten bestehen. Ziel des Spiels ist es, die rechteckige Fläche restlos mit den Blöcken zu füllen. Er war so begeistert von dem Spiel, dass er sich selbst an die Arbeit machen musste, um ein ähnliches Konzept zu entwickeln. Für ein weiteres seiner Computerspiele wohlgemerkt! Um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, hatte Paschitnow allerdings nur Zugriff auf einen (selbst für sowjetische Verhältnisse bereits veralteten) Computer. Tetris wurde also auf einem Elektronika 60 entwickelt. Anders als bei Pentomino bestehen die Steine in seinem neuesten Werk nicht aus fünf, sondern aus vier gleichgroßen Teilen, sprich Tetrominos, die später liebevoll auf den Namen Tetriminos getauft wurden. In schwarz-weißer Optik, sowie ohne Musik und Soundeffekte, fallen die Steine von oben nach unten auf das Spielfeld. Schon 1984 war das Spielprinzip klar. Man muss die Steine so anordnen, dass sich geschlossene Reihen bilden und auflösen. Paschitnow war von seinem neuen Spiel so begeistert, dass er nicht mit dem Spielen aufhören konnte.
Versuch und Irrtum
Daraufhin ließ er seine Kollegen Tetris ausprobieren, die nicht genug vom süchtigmachenden Spielprinzip bekommen konnten. In seinem Gehirn hat also noch alles genau so funktioniert, wie es auch funktionieren sollte. Gerne würden wir sagen, dass der Rest Geschichte ist, doch in den nächsten Jahren hat sich ein regelrechter Krimi abgespielt. Erst als Dimitri Pawlowski Highscore-Tabellen einfügte und Vadim Gerasimow das Programm für IBM-PCs umschrieb, konnte sich Tetris außerhalb des Computerzentrums etablieren und gelangte so unter anderem nach Ungarn. Robert Stein, Leiter von Andromeda Software, war begeistert von Tetris und fragte die Rechte daraufhin beim Computerzentrum in Moskau an. Die Rechte erhielt Andromeda Software nicht direkt, doch formlose Vereinbarungen waren in dieser Zeit üblich, weshalb für Stein die Aussage, dass die Anfrage mit Interesse aufgenommen wurde, ausreichte, um die ersten Versionen für Apple II und C64 zu veröffentlichen. Zudem verkaufte er die Rechte unter anderem an den britischen Konzern Mirrorsoft (war Teil von Maxwells Medienimperium) und an Spectrum Holobyte in Kalifornien. Daraufhin sollte schon bald das erste Telex an Stein folgen. Das Ministerium Electronorgtechnica, welches die Vermarktung von sowjetischer Software kontrollierte, richtete sich in diesem Telex ordnungsgemäß an Stein, dass dieser die Rechte für Tetris niemals erworben hätte.
Rechtewirrwarr
Mit einem Besuch in Moskau gelang es ihm jedoch, die Rechte für Heim- und Personalcomputer zu erwerben. Mirrorsoft, die de facto keine Rechte an Tetris besaßen, war dieser Markt allerdings zu gering und wandten sich an den Riesen Atari, die für Mirrorsoft eine Konsolenversion produzieren sollten. Ungefähr zur gleichen Zeit stellte Spectrum Holobyte, die genaugenommen ebenfalls keine Rechte am Spiel besaßen, Tetris auf der Consumer Electronics Show 1988 in Las Vegas vor. Hier wurde Henk Rogers vom japanischen Unternehmen Bullet-Proof Software auf das Spiel aufmerksam und kaufte ihnen die Rechte für Computerspielversionen und bei Atari die Rechte für Konsolenfassungen ab, woraufhin kurz darauf Tetris in Japan für das Nintendo Entertainment System erschien. Nintendo zeigte sich beeindruckt von dem Spiel und wollte es zur Markteinführung für ihren ersten Handheld mit austauschbaren Modulen, dem Game Boy, unbedingt beilegen. Rogers stellte ihnen die Rechte in Aussicht, doch da Stein nicht die vereinbarten Zahlungen an das Computerzentrum lieferte, wurde der Fall von Nikolai Belikow bei Electronorgtechnica nun untersucht. Da Stein Rogers immer mehr hinhielt, flog Rogers unangemeldet im Februar 1989 nach Moskau, um den Sachverhalt mit Electronorgtechnica persönlich zu klären.
Ausgang einer Gerichtsverhandlung
Im Gespräch mit Belikow stellte sich heraus, dass Rogers keinerlei Rechte an der Tetris-Lizenz besaß, doch da er gute Kontakte zu Nintendo offerierte, konnten sich beide Parteien auf die Vergabe jener Lizenz einigen. Am gleichen Tag wurden Stein und Kevin Maxwell bei Belikow vorstellig. Während Steins Rechte an Tetris eingeengt worden waren, ging der Sohn des Konzernleiters Robert Maxwell leer aus. Es wurde gar gedroht, Mikhail Gorbatschow (der damals noch der Generalsekretär des Zentralkomitees war), mit der Angelegenheit zu belasten. Vergeblich. In Seattle konnte Rogers die Konsolenrechte exklusiv an Minoru Arakawa und Howard Lincoln bei Nintendo vergeben. Nintendo war es so möglich, zum Verkaufsstart am 21. April 1989 jeden Game Boy mit einem Modul Tetris auszuliefern. Obwohl man nun die exklusiven Rechte besaß, dachte Atari Games nicht daran, die Produktion des Spiels zu stoppen, da man schon zu viele Millionen US-Dollar in Tetris investiert hatte. Nintendo machte Atari Games darauf aufmerksam, ein Rechtsstreit entbrannte. Im November 1989 gewann Nintendo das Gerichtsverfahren. Atari musste daraufhin hunderttausende noch nicht verkaufte Module vernichten. Für Atari wiederholte sich der Alptraum, den man in ähnlicher Form nach 1982 schon mit dem Videospiel E.T. the Extra-Terrestrial durchleben musste.
Die Idee gehört dem Staat
Belikow, der von der Sowjetunion verantwortlich gemacht worden wäre, hätte Atari Games den Prozess gewonnen, konnte aufatmen. Obwohl die Lizenzvergabe nun klar geregelt ist, sich die Sowjetunion beziehungsweise die 1990 gegründete Russische Föderation mehr dem Westen öffnete, gingen alle Zahlungen trotzdem an den Staat. Paschitnow hat also zunächst kein Geld für sein geistiges Eigentum erhalten. Mit Hilfe seines neu gewonnenen Freundes Rogers und dessen Mitarbeiterin Sheila Boughten, welche bei Bullet-Proof Software die Auswanderung russischer Programmierer in die USA koordinierte, konnte Paschitnow in die Vereinigten Staaten von Amerika emigrieren. Dort gründete er 1990 mit Vladimir Pokhilko das Computergrafik-Unternehmen AnimaTek. Die Arbeit gab er 1996 nach fast sechs Jahren allerdings auf, um bei Microsoft zu arbeiten. Als der Konzern jedoch in den Konsolenmarkt vordringen wollte, realisierte Paschitnow, dass es für seine Puzzle-Spielideen auf der Xbox keinerlei Publikum gab. Mit Hexic HD und Hexic 2 erschienen immerhin zwei seiner Titel für die Nachfolgekonsole Xbox 360. 1996 heuerte Paschitnow aber nicht nur bei Microsoft an. In diesem Jahr liefen die ursprünglich vergebenen Lizenzen von Tetris aus, wodurch Paschitnow nun ab sofort an Tetris verdiente.
Die menschliche Psyche
Zusammen mit Henk Rogers gründete er auf Hawaii das Unternehmen The Tetris Company, welche seit jeher die Lizenzen für das Spiel vergibt. Obwohl Paschitnow finanziell nie das erhalten hat, was ihn der Ruhm tatsächlich eingebracht hat, darf er sich darüber freuen, einen Videospielmeilenstein entworfen zu haben. Tetris war das erste Spiel des Ostblocks, welches sich im Westen etablieren konnte. Bewusst stand auf dem Cover der ersten Version der Tetris-Schriftzug in kyrillischen Buchstaben und russisch-sowjetische Elemente wie die Abbildung des Kremls oder Hammer und Sichel zogen die Menschen an, die von der Magie fasziniert waren, welche sich hinter dem Eisernen Vorhang versteckte. So war Tetris schon 1988 das meistverkaufte Spiel im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten. Tetris ist kein gewaltverherrlichendes Spiel, von welchen sich Erfinder Paschitnow immer distanziert hat. Tetris stellt die andere Seite der menschlichen Psyche dar und wird von Millionen Fans auf der ganzen Welt in dutzenden verschiedenen Versionen bis heute gefeiert und geliebt. Ein wahrlich schöner Ausgang für diesen Krimi!
Geschrieben von Eric Ebelt