Review: The Caligula Effect: Overdose

Seit Jahrzehnten mischen Dungeon Crawler das Rollenspielgenre auf. The Caligula Effect: Overdose ahmt die grundlegenden Attribute dieser Genre-Kategorie nach und versucht diese mit Anleihen aus der Persona-Reihe zu verbinden, was dem Titel aber nur im Ansatz gelingt.

Erstmals wurde das Spiel noch ohne den Titelzusatz Overdose als The Caligula Effect im Jahr 2016 für die PlayStation Vita veröffentlicht. Allerdings blieb der Titel, vermutlich auch aufgrund der damals kurz bevorstehenden Veröffentlichung von Persona 5, vom Zielpublikum weitgehend unbeachtet. Also wurde beschlossen, das Spiel auf die Nintendo Switch, den PC und die PlayStation 4 zu portieren und dabei mit neuen Inhalten zu erweitern. Obwohl eine der Neuerungen des Updates die Einführung einer weiblichen Protagonistin ist, die als Alternative zum männlichen Charakter zu Spielbeginn ausgewählt werden darf, bleibt die Story bis auf ein paar zusätzliche neue Enden unverändert. The Caligula Effect findet in einer geheimnisvollen Welt namens Mobius statt, die vom fiktiven japanischen Pop-Idol My, im Spiel als µ stilisiert, erschaffen wurde. Aus dieser mysteriösen Dimension gibt es scheinbar kein Entkommen – das muss die Spielfigur während des Auftakts am eigenen Leibe erfahren. Sie weiß nicht, wie sie nach Mobius gelangt ist, will aber alles daran setzen, zu fliehen. Da kommt es nur gelegen, dass mit Satake Shōgo ein erster Verbündeter auftritt, der dem Avatar des Spielers unter die Arme greift. Shōgo lässt verlauten, dass er Teil des Go-Home Clubs ist, der einen Weg aus Mobius sucht und dem sich der Hauptcharakter kurzerhand anschließt.

Charaktergetragene Geschichte

Grundsätzlich mag die Handlung zwar sehr seicht sein, doch vor allem die zahlreichen Charaktere, die sich dem Go-Home Club in aktiver oder passiver Form nach und nach anschließen, sind maßgeblich am Tragen der Story verantwortlich. Selbstverständlich ist der eine oder andere Stereotyp mit von der Partie. Aufgrund dessen, dass jede der wichtigen Figuren eine eigene Persönlichkeit hat, die sich vor allem in zahlreichen Macken oder Vorlieben widerspiegelt, wird es mit der illustren Truppe niemals langweilig. Im Verlauf der auf dutzende Spielstunden angelegten Handlung treten immer mehr Charaktere ins Rampenlicht, von denen auch die gefürchteten Musicians keine blassen Bösewichter bleiben. Warum das so besonders ist und wer hinter dem ominösen Charakter Lucid steckt, sollte der Spieler aber unbedingt selbst erfahren. In The Caligula Effect entwickeln sich daher einige überraschende Wendungen, die die Story stets frisch halten. Da kommt es wie gerufen, dass der Spieler mit seinen neuen Freunden auch abseits der Story in kurzen Dialogen und noch kürzeren Zwischensequenzen interagieren kann. Hier muss zwar in der Regel nur auf Fragen korrekt reagiert werden, die richtigen Antworten helfen jedoch dabei, mehr über die Hauptfiguren und ihre Persönlichkeit zu erfahren, sowie den Bund der Freundschaft zwischen beiden Charakteren zu verstärken.

Geniales und komplexes Kampfsystem

Schnell erfahren die Protagonisten und Antagonisten des Spiels, welche große Macht in ihnen schlummert. Kommt es beispielsweise in den Gängen der Oberschule, in der Einkaufspassage, im Badehaus oder der Bibliothek zu einem Kampf, transformieren sich ihre Körper, indem waffenartige Vorrichtungen erscheinen. Mit diesen können die von My manipulierten Oberschüler, die so genannten Digiheads, in rundenbasierten Kämpfen mit viel Taktik malträtiert werden. Überraschenderweise gehört das schnelle Kampfsystem von The Caligula Effect, so unscheinbar der Titel auf den einen oder anderen wirken möge, tatsächlich zum Besten, was das Genre bis dato zu bieten hat. Bei Feindkontakt öffnet sich fließend ein abgestecktes Gebiet, in dem den Figuren der Reihe nach bis zu drei Befehle erteilt werden können. Das Tolle dabei ist, dass der Spieler eine Vorschau erhält, wie der Kampf im Optimalfall ablaufen wird, ohne jedoch eine Garantie dafür zu erhalten. Selbst kleine Korrekturen, wann ein Angriff gestartet oder eine Spezialfähigkeit aktiviert werden soll, sind hierbei möglich und laden zum freudigen Experimentieren ein. Sollte eine Aktion im Kampf noch nicht abgeschlossen und bereits der nächste Charakter an der Reihe sein, werden bei dieser Prognose alle noch nicht verwirklichten Befehle in ihrem chronologischen Ablauf ebenso großzügig mit einberechnet.

Angenehmer, aber zu leichter Schwierigkeitsgrad

Es ist jedoch nicht alles Gold was glänzt, denn so überragend das Kampfsystem in der Theorie auch sein mag, so wenig wird der Spieler mit ansteigenden Levels seiner bis zu vierköpfigen Truppe Nutzen aus dem Konzept ziehen. Hinzu kommt, dass der Schwierigkeitsgrad auf der normalen Stufe viel zu einfach ist und selbst Bossgegner in zwei bis maximal drei Zügen pulverisiert werden können. Um die Sache zu beschleunigen, wird die Automatik aktiviert und nur ein Standardangriff nach dem anderen auf den Gegner losgelassen. Nur in seltenen Fällen ist dann noch nötig, den Schild eines Feindes zu durchbrechen oder die Charaktere an anderen Stellen des Kampfgebiets zu positionieren. Letzteres ist zum Beispiel dann zwingend notwendig, wenn der Spieler in völliger Selbstüberschätzung einen Feind attackieren möchte, der zwanzig Levels über seinem Niveau ist. Ulkigerweise ist auch das in The Caligula Effect problemlos möglich. Je größer die Differenz zwischen den Levels der Spielfiguren und denen der Feinde ist, desto geringer ist jedoch die Trefferwahrscheinlichkeit, was das ganze Spektakel wieder relativiert. Wer es etwas deftiger mag, sollte daher von Beginn an den nächsthöheren Schwierigkeitsgrad auswählen. Die höchste Stufe „Extrem“ ist wiederum übertrieben, da jeder erfolgreiche Angriff durch den Gegner zum sofortigen Tod der Spielfigur führt.

Repetitive Aufgaben und Spielwelt

Während es für gewonnene Kämpfe Erfahrungspunkte hagelt, gibt es bei einem Level-up drei Fähigkeitspunkte auf ein gemeinsames Gruppenkonto gutgeschrieben. Diese dürfen dann von Charakteren unserer Wahl verwendet werden, um diverse Spezialfähigkeiten zu erlernen oder zu verbessern. Wer also nur mit bestimmten Figuren spielen möchte, kann diese gezielt stärken und andere Charaktere schlicht außen vorlassen. Ebenfalls empfiehlt es sich, die orthogonal aufgebaute Spielwelt genauestens abzusuchen, da dort neben ausrüstbaren Stigmata, die die Attribute erhöhen, auch Objekte gefunden werden können, die drei Fähigkeitspunkte spendieren. Abseits dessen sind die Dungeons, die im Gegensatz zu Etrian Odyssey nicht aus der Ego-Perspektive, sondern aus der Verfolgeransicht erkundet werden, in ihrer Architektur recht eintönig und leer. Es laufen „lediglich“ über fünfhundert Nicht-Spieler-Charaktere durch die Welt, mit denen sich der Spieler anfreunden kann, in dem er Gespräche mit ihnen führt, sie über einen Chat kontaktiert und repetitive Gefallen für sie erledigt, was in stressiger Arbeit mündet. Entwicklerstudio Aquria hätte sich lieber auf wenige, dafür deutlich abwechslungsreichere Figuren und Nebenquests konzentrieren sollen. Nur wer über reichlich Sitzfleisch verfügt und schmerzunempfindlich gegenüber derlei Aufgaben ist, hat hier noch seinen Spaß.

Aufpolierte Version eines Nischentitels

Auf der technischen Ebene kann The Caligula Effect: Overdose im Gegensatz zur PlayStation-Vita-Version zumindest auf PC und PlayStation 4 überzeugen. Das nervige Dauerruckeln und das eklige Kantenflimmern gehören der Vergangenheit an. Einzig und allein an sehr wenigen Stellen kommt es noch zu leichten Einbrüchen in der Bildwiederholungsrate, ansonsten läuft der Titel durchweg flüssig und kann mit einer knackscharfen Grafik im Anime-Stil auf ganzer Linie punkten. Wer es auf der Switch spielt, sollte den Titel zumindest im stationären Betrieb angehen, da besonders im Handheld-Modus die fehlende Kantenglättung ein Dorn im Auge des Betrachters sein kann. Nicht nur die Optik kann weitgehend überzeugen, auch der Soundtrack weiß meistens zu gefallen. Beim Erkunden der Spielwelt laufen meist angenehme, hin und wieder aber auch ein paar adrenalingeladene Musikstücke, die das Abenteuer akustisch wunderbar untermalen. Hierbei haben sich die Entwickler auch einen besonderen Kniff einfallen lassen, denn während bei der Umgebungserkundung nur eine instrumentale Version des Musikstücks im Hintergrund vor sich her dümpelt, wird der Track im Kampf mit Gesang zusätzlich unterlegt. Hinzu kommt eine in den wichtigsten Szenen fast durchgehend vorhandene und sehr gute japanische Synchronisation, die das Abenteuer wunderbar unterstützt.

Geschrieben von Eric Ebelt

Erics Fazit (basierend auf der PlayStation-4-Fassung): An vielen Stellen möchte The Caligula Effect: Overdose ein wenig wie die Persona-Reihe sein, erreicht aber niemals die Qualität der Vorlage. Das Spiel verfällt an allen Ecken und Enden in repetitive Spielabläufe, die teilweise viele Nerven kosten. Zum Glück weiß der Titel aber, dass er im Herzen ein Dungeon Crawler ist und zumindest in dieser Disziplin kann The Caligula Effect mit einer hübschen Optik, einer beeindruckenden Akustik und vor allem mit einem der in der Theorie besten Kampfsystemen in Rollenspielen punkten. Schade ist nur, dass der Schwierigkeitsgrad meistens viel zu leicht ist und somit am Ende nur die Story motiviert, sich bis zum Abspann vorzuarbeiten. Aufgrund der interessanten Hauptfiguren ist das jedoch ein Ziel, das gerne in Angriff genommen wird. Fans von Dungeon Crawlern mit einem Faible für japanische Pop-Musik kommen voll und ganz auf ihre Kosten, wer hingegen eine Persona-Alternative erwartet, wird auf ganzer Linie enttäuscht. Vielleicht kommen Publisher und Entwickler aber auf die Idee, das Konzept in Zukunft noch auszubauen. Potenzial ist in The Caligula Effect definitiv vorhanden, sie müssen es einfach nur nutzen.

Jonas’ Fazit (basierend auf der Nintendo-Switch-Fassung): In The Caligula Effect: Overdose steckt eine Menge drin, vieles davon gefällt mir tatsächlich sehr gut. Ich kann mir vorstellen, dass mit etwas mehr Budget, ein wenig mehr Feinschliff im Kampfsystem und einer stärkerer Verbindung von Story und Gameplay ein außerordentliches Spiel hätte entstehen können. Der Sprung vom verkorksten Original ist aber auch so schon sehr groß und beschert mir ein Rollenspiel, das zwischen japanischem Genre-Standard und spannender Originalität steht. Auf mich wirkt der Titel auch eine eigenartige Faszination aus, obwohl ich mit dem Pop-Idol-Thema noch nie etwas anfangen konnte. Wahrscheinlich liegt es auch an der Möglichkeit, neben den Protagonisten auch die Antagonisten näher kennenzulernen, was sich in dieser Form wohl kaum ein Rollenspiel traut.

Vielen Dank an NIS America für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von The Caligula Effect: Overdose!

 

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